Zum Inhalt springen

Erdogan und Putin in Sotschi «Es ist eine Art politische Männerfreundschaft»

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan besuchte den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sotschi. Bei dem Treffen – das achte in diesem Jahr – ging es hauptsächlich um die Situation in Nordsyrien. Die beiden stehen in dem Konflikt zwar auf gegnerischen Seiten. Aber SRF-Korrespondent David Nauer in Moskau weiss, dass sie dennoch viel verbindet.

SRF News: Bisher standen Putin und Erdogan in Syrien auf gegnerischen Seiten. Die Türkei unterstützte die Rebellen, die gegen Baschar al-Assad kämpften. Russland hingegen unterstützte Assad. Hat sich das geändert?

David Nauer: Soweit man weiss, nicht. Der Kreml hält immer noch eisern an Assad fest und Erdogan – das hat man ja gerade kürzlich wieder gesehen – hält ebenfalls an seiner eigenen Agenda fest. Dieser Widerspruch bleibt bestehen. Aber dass Putin und Erdogan dennoch immer wieder miteinander reden – insgesamt ist es schon das achte Treffen in diesem Jahr – hat wohl damit zu tun, dass sie sich, so hört man in Moskau, einfach persönlich gut verstehen. Es ist eine Art politische Männerfreundschaft. Für Putin ist dieser Faktor sehr wichtig, wenn er mit einem anderen Staatschef zu tun hat.

Wie hat sich die Beziehung zwischen den beiden Männern verändert?

Das war eine ziemliche Achterbahnfahrt. Die Türkei 2015 hat einen russischen Kampfjet abgeschossen, der in Syrien im Einsatz war. Das war der absolute Tiefpunkt. Aus Moskau kamen sehr gehässige Worte, Sanktionen und Drohgebärden. Dann haben sich Putin und Erdogan aber irgendwie zusammengerauft. Das hat wohl damit zu tun, dass sie bei allen Differenzen in Syrien auch viele Gemeinsamkeiten haben.

Beide sind Staatschefs von Ländern, die einst grosse Imperien waren.

Beide sind Autokraten und Staatschefs von Ländern, die einst grosse Imperien waren und jetzt wieder an diese Tradition anknüpfen wollen. Kommt hinzu, dass sie einen gewissen Groll auf den Westen hegen. Man kann sagen, da haben sich zwei gefunden und sie geben sich Mühe, Differenzen zu überwinden.

Wie sieht die Politik aus, die der Kreml im Nahen Osten verfolgt?

Das ist eine bemerkenswerte Strategie. Es war zwar ziemlich waghalsig, dass die Russen 2015 in den Krieg in Syrien eingegriffen haben. Assad war damals massiv in Bedrängnis und die Russen haben ihn gerettet. Das hätte eigentlich auch schiefgehen können, ist es aber nicht.

Putin hat etwas gewagt und gewonnen. Andererseits sind die Russen aber auch sehr pragmatisch und berechenbar. Es fällt auf, dass sie mit allen wichtigen Akteuren der Region reden können: mit Assad und dem verbündeten Iran sowieso, aber auch mit der Türkei. Mit den Saudis hat Putin letzte Woche geredet. Man hat den Eindruck, die Russen suchen überall nach Gemeinsamkeiten.

Welche Position will Putin im Nahen Osten einnehmen?

Er will, dass Russland Einfluss hat, dass Russland mitentscheiden kann. Das ist Teil einer langfristigen russischen Strategie. Putin arbeitet schon seit vielen Jahren auf eine, wie er sagt, multipolare Welt hin. Als er im Jahr 2000 an die Macht kam, war die Rolle des Westens in der Welt überragend. Putin wollte das ändern. Er wollte eine Welt, in der es verschiedene Machtzentren gibt.

Die multipolare Welt hat sich im Nahen Osten für Moskau materialisiert.

Im Nahen Osten scheint ihm das jetzt eindeutig gelungen zu sein. Dort spielen jetzt die Türken, die Iraner, die Saudis und auch der Westen eine Rolle – aber eben auch die Russen. Und die Russen spielen bei weitem nicht die kleinste Rolle. Diese multipolare Welt hat sich im Nahen Osten für Moskau materialisiert. Allerdings hat diese neue Ordnung der Region selbst eigentlich kaum oder keine positiven Veränderungen gebracht, eher im Gegenteil.

Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.

Meistgelesene Artikel