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EU-Agentur Frontex Frontex: Der Chef ist weg, die Probleme bleiben

Endlich, werden sich viele Abgeordnete im EU-Parlament sagen. Endlich tritt der umstrittene Direktor von Frontex zurück. Die Kritik an Fabrice Leggeri ist alt: Er sei auf einem Auge fast blind, nämlich auf jenem Auge, das selbstkritisch die eigene Arbeit reflektieren sollte. Leggeri, berichten viele Insider, habe beim Um- und Ausbau von Frontex nur eines im Blick: Uniformen, Waffen, neue Schiffe, Helikopter und Drohnen.

Die Etablierung von internen Kontrollen und eine kritische Begleitung der nachweislich komplexen Arbeit der Frontex-Mitarbeitenden hat er sträflich vernachlässigt. Das Gesetz schreibt dem Direktor vor, Strukturen innerhalb der Frontex-Organisation zu schaffen, die überwachen, ob im Alltag die von der EU garantierten Grundrechte eingehalten werden. Leggeri nahm sich verstörend lange Zeit, diesen Auftrag mit minimalem Aufwand zu erfüllen.

Verstösse sind eindeutig belegt

Eines dieser EU-Grundrechte für Asylsuchende ist es, an der EU-Aussengrenze ein Gesuch zur Aufnahme stellen zu können. Darum wiegt der Vorwurf von Hilfsorganisationen so schwer, dass Mitarbeitende unter Frontex-Kommando daran beteiligt seien, Schutzsuchende an den EU-Aussengrenzen abzuweisen.

Was ist Frontex?

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Frontex wurde 2004 von der EU gegründet und nach der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 zur Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache ausgebaut.

Die Agentur beschäftigt rund 2000 Männer und Frauen aus den EU-Mitgliedstaaten, die den Grenzschutz an den EU-Aussengrenzen koordinieren und unterstützen. Rund 60 Prozent von ihnen sind bei Frontex angestellt, die übrigen werden von nationalen Grenzschutzbehörden zur Verfügung gestellt.

Die Schweiz beteiligt sich seit 2011 an der Organisation und soll sich an deren Ausbau beteiligen – so wollen es Bundesrat und Parlament. Heute setzt die Schweiz rund sechs Vollzeitstellen ein, bis 2027 sollen es maximal 40 sein. Der finanzielle Beitrag soll im selben Zeitraum von heute 24 auf schätzungsweise 61 Millionen steigen.

Da gegen diese Vorlage ein Referendum ergriffen wurde, stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung am 15. Mai über die Beteiligung am Ausbau der Frontex ab.

Dies ist bestens dokumentiert. Frontex-Schiffe provozieren Bugwellen, die Gummiboote zurück in nicht-EU-Gewässer treiben. Frontex-Mitarbeitende füllen unvollständige Rapporte aus, oder schauen im besten Fall weg, wenn nationale Grenzschützer Menschen misshandeln.

Wenn das nun offenbar auch seriöse Untersuchungen durch die unabhängige Anti-Korruptionsbehörde der EU bestätigen, ist es nichts als konsequent, dass der Frontex-Direktor seinen Rücktritt einreicht.

Keine unabhängige Untersuchung

Allerdings: Das gleiche Gremium, das nun Leggeris Rücktritt anzunehmen hat – der Frontex-Verwaltungsrat –, hat dessen Agentur vor wenigen Monaten weissgewaschen. Der Verwaltungsrat, dem auch Vertreter des Schweizer Grenzschutzes angehören, untersuchte die Vorwürfe über illegale Rückweisungen. Frontex habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Auch Leggeri nicht. Logisch. Die Untersuchung war nicht unabhängig.

Bei Frontex bleiben solche strukturellen Probleme fest verankert, trotz des Rücktritts des Direktors. Sie haben ihren Ursprung in einem grundsätzlichen Zielkonflikt: Frontex teilt sich den Schutz der EU-Aussengrenzen mit nationalen Grenzschutzbehörden. Diese haben 27 verschiedene Arbeitskulturen und Grenzschutzstrategien. Die Interessen können – aus Sicht der Schutzsuchenden – dramatisch divergieren.

Darum wären eindeutige asylpolitische Vorgaben aller EU-Staaten dringend nötig. Das wäre die Voraussetzung für eine unparteiische Arbeit von Frontex. Nur: Diese Vorgaben gibt es nicht. Die EU-Asylpolitik steckt seit Jahren in der Sackgasse. Also bleiben die strukturellen Probleme von Frontex bestehen.

Etwas kleiner werden die Probleme beim Management von Frontex, falls auf Leggeri eine sachverständige Person folgt, die nicht auf einem Auge blind ist. Wunder darf aber niemand erwarten.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

Echo der Zeit, 29.04.2022, 18:00 Uhr

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