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EU-Gelder in Bulgarien Die Kanalisation fehlt – dafür gibt es ein neues Sportstadion

Besuch in einer bulgarischen Gemeinde, in der drei Sportstätten stehen, obwohl es sonst am Nötigsten fehlt.

Der Wind zerrt am grünen Zaungerippe. Dahinter: ein verblassendes Fussballfeld, löchriger Beton. Tore gibt es keine.

Seit drei Jahren steht dieser Sportplatz hier neben dem Dorf Dinkata, verloren in Bulgariens thrakischer Tiefebene, zwischen wirbelnden Plastikfetzen und weggeworfenen Turnschuhen. Sport macht hier kaum einer.

Vogelperspektive auf einen Fussballplatz.
Legende: Der Fussballplatz in Dinkata lädt nicht zum Spielen ein. BTV

Auch Peter spielt lieber woanders Fussball. Der junge Mann lebt im Dorf Dinkata, die Corona-Pandemie hat ihn aus dem Ausland zurück nach Bulgarien geführt. Er kann ein wenig Deutsch. Und fragt sich: «Was soll so ein kaputtes Fussballfeld hier? Die Strassen hat man seit 50 Jahren nicht repariert. Wo ist das Geld dafür? Das ist doch scheisse.»

Kein Strom, keine Kanalisation

Dinkata, das sind verschlammte Strassen ohne Asphalt. Dinkata, das sind eher Hütten als Häuser, viele ohne Strom und Wasser, alle ohne Kanalisation. Dinkata, das sind ein paar hundert Menschen. Für 350'000 Franken hat man hier diese Karikatur eines Sportplatzes gebaut. Mit Geld der Europäischen Union.

Blick auf ein paar Hütten.
Legende: Die meisten Häuser in Dinkata sind ohne Strom und Wasser, alle ohne Kanalisation. SRF/Sarah Nowotny

Wir sind jetzt umringt von Aufgebrachten. Ein alter Mann zeigt auf ein kleines Mädchen, das sich an die Mutter schmiegt. «Wozu hier ein Sportplatz? Dieses Kind braucht doch Wasser und Strom zum Aufwachsen.» Vor den Wahlen – die nächsten sind jetzt, Anfang April – kämen jeweils Politiker ins Dorf und versprächen den Himmel. Danach passiere aber nie etwas.

20 Feuerlöscher für den Rasen

Auch ein Dorf weiter, in Kalugerovo, haben viele Häuser kein Wasser. Doch auch in Kalugerovo gibt es aber eine Sportstätte, seit vier Jahren. Ein makelloses Stadion.

Fussballstadion in Kalugerovo.
Legende: Das Stadion in Kalugerovo ist makellos. SRF/Sarah Nowotny

Die Hausmeisterin zeigt überdachte Tribünen, Umkleidekabinen mit Dusche, makellosen Kunstrasen. 20 Feuerlöscher stehen herum, sollte der Rasen brennen.

Die untergegangene Fussballmannschaft habe man aus der Versenkung geholt, erzählt die Hausmeisterin, dank dem Stadion. Eine Kindermannschaft gegründet. Die Frauen aus dem Dorf spielten jetzt zusammen Volleyball.

Drei Sportstätten für 5600 Menschen

Unser drittes Dorf heute heisst Lesitschovo, wieder keine Kanalisation, wieder schlechte Strassen. Und Sportstätte Nummer Drei. Ansehnlich. Aber, sagt Wesselina Milkova, selten benutzt. Sie ist die Vizebürgermeisterin der drei Dörfer, die wir besucht haben. Alle drei gehören zur selben Gemeinde. Wir sitzen jetzt in ihrem Büro, es gibt Blätterteig mit Käsefüllung.

Die Frage, die sich aufdrängt, Frau Vizebürgermeisterin: Warum gibt es in ihrer Gemeinde drei Sportstätten; hier, wo so viel Grundlegendes fehlt, wo bloss 5600 Menschen leben? Der geschenkte Gaul halt, sagt Wesselina Milkova. Die EU gebe der Gemeinde nun einmal Geld für Sportstätten, drei Millionen Franken.

«Um eine Kanalisation hingegen können wir uns in Brüssel nicht bewerben, dafür erfüllen wir die Kriterien der EU nicht, wir sind zu klein.» Für die Sportstätten hat sie drei Millionen Franken aus Brüssel bekommen. «Und dieses Geld hat gereicht für drei Stadien, zwei grosse und ein kleines.»

Fast hundert neue Stadien

Natürlich zahlt die EU nicht nur für Sportstätten in Bulgariens abgehängten Dörfern. So erzählt Wesselina Milkova, dass sie viele öffentliche Gebäude in ihrer Gemeinde mit Geld aus Brüssel renovieren konnte.

Wesselina Milkova in ihrem Büro.
Legende: Wesselina Milkova ist die Vizebürgermeisterin der drei Dörfer Dinkata, Kalugerovo und Lesitschovo. SRF/Sarah Nowotny

Aber es fliesst eben auch ziemlich viel Geld in ziemlich viele unnütze Sportstätten. In den letzten Jahren sind in ganz Bulgarien fast hundert neue Stadien entstanden. Viele in Gegenden, wo fast nur Ältere wohnen. 150 Millionen Franken hat das gekostet.

Der EU-Tresor, aus dem die Stadien bezahlt werden, heisst «Entwicklung des ländlichen Raums». Das Ziel ist, die grossen Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Gebieten auszugleichen. Damit das klappt, gibt die EU eben auch Geld für Freizeiteinrichtungen.

Der Gedanke dahinter: Ein Stadion in einem Dorf bringt Fussballmannschaften und Zuschauer, die müssen irgendwo übernachten. Also entstehen Hotels. Das ganze Dorf ist stärker belebt und irgendwann siedeln sich vielleicht Firmen an.

Das mag in gewissen Gegenden Europas funktionieren, in Bulgariens abgehängten Dörfern ist dieser Gedanke absurd. So sind auch aus der Gemeinde Lesitschovo hunderte Menschen weggezogen, seit es die drei Sportstätten gibt.

Laufbahn eckig statt oval

Dass das Geld dafür oft sinnvoller eingesetzt werden könnte, ist das eine. Das andere ist die Korruption: Die Stadien sind eine Möglichkeit für bulgarische Politiker, Schrott bauen zu lassen und einen Teil des Geldes einzustecken. Dafür ist das Stadion in der Kleinstadt Kostenez ein Beispiel.

Qual der Wahl in Bulgarien

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Das kleine Land auf der Balkanhalbinsel wählt am 4. April ein neues Parlament und damit eine neue Regierung. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum sind diese Wahlen wichtig?

Bulgarien ist ein Land, das zwar in der Europäischen Union ist, in dem aber viel Grundlegendes schiefläuft. Ein Beispiel: Politiker der grossen Parteien kaufen Luxuswohnungen weit unter dem Marktwert – und einer davon ist der Chef der Antikorruptionsbehörde. Solche Zustände haben letztes Jahr zehntausende Bulgarinnen und Bulgaren auf der Strasse zusammengebracht, vereint im monatelangen Protest gegen Korruption und Misswirtschaft. Ein wenig Hoffnung ging durchs Land.

Nur Hoffnung oder ändert sich jetzt wirklich etwas?

Nur Hoffnung. Inzwischen gibt es keine Proteste mehr. Und die Partei der Regierung, gegen die so eifrig demonstriert wurde, dürfte die Wahlen sogar gewinnen. Das sagen zumindest die Umfragen. Der ehemalige bulgarische Justizminister Hristo Ivanov war einer der Anführer der Protestierenden. Er sagt heute, es sei logisch, dass nicht mehr protestiert werde – das Zeitfenster, in dem die Regierung hätte zum Rücktritt gedrängt werden können, sei wieder zu. Jetzt zähle der Wahlerfolg. Damit redet Ivanov die Lage aber schön, ihm zum Beispiel werden nur um die fünf Prozent Wähleranteil vorausgesagt.

Ist die Hoffnung auf sauberere Politik zusammengebrochen, weil niemand sie wirklich verkörpert?

Ja, viele Bulgarinnen und Bulgaren haben das Gefühl, in ihrem Land ändere sich ohnehin nie etwas. Es gab immer wieder Hoffnungsträger, zum Beispiel den ehemaligen Zaren, der als demokratisch gewählter Regierungschef zurückkam nach Bulgarien. Er und alle anderen haben enttäuscht. Und so wählen die Menschen lieber unmittelbar Handfestes: Der jetzige Regierungschef Bojko Borissow tourt im Jeep durchs Land. Kürzlich hat er einem kleinen Dorf in den Bergen einen Anschluss an die Hauptstrasse versprochen. Zwei Wochen später war die Verbindungsstrasse gebaut. So bedient Borissow geschickt seine Klientel.

Der alte Regierungschef wird also der neue sein?

Das ist nicht gesagt, denn Bojko Borissow wird wahrscheinlich nicht genug Stimmen bekommen, um allein zu regieren. Wie es aussieht, will aber keine der anderen Parteien mit ihm zusammenarbeiten. Das heisst, es wird schwierig eine neue Regierung zu bilden. Womöglich wählt Bulgarien bald noch einmal.

Und inwiefern spielt Covid-19 bei den Wahlen eine Rolle?

Die Corona-Lage in Bulgarien ist schlecht, die Zahlen steigen stark, vieles im Land hat geschlossen und viele Menschen sind in Quarantäne. Das ist auch ein Problem bei den Wahlen: Es gibt berechtigte Zweifel daran, dass unter diesen Umständen alle wählen können, die wollen. Für die Menschen in Quarantäne soll es mobile Wahlurnen geben. Aber womöglich braucht es davon sehr viele – und alle müssen mit Personal bestückt sein, am besten mit geimpftem Personal. Das wird schwierig.

2016 hat man es aufgefrischt, inzwischen zerfällt es in seine Einzelteile. Das Dach der Tribüne ist einsturzgefährdet. Und, noch schlimmer: Die Laufbahn ist viereckig statt oval – unmöglich, dort zu trainieren. Wer ernsthaft Sport machen will, fährt dafür woanders hin. Die Vermutung liegt nahe: Da hat jemand katastrophal billig gebaut und den Rest des EU-Gelds eingesteckt.

Ein Verdacht, der sich verstärkte, als plötzlich die Baufirma nicht mehr auffindbar war. Inzwischen hat die Stadt Anzeige erstattet. Untersuchungen der bulgarischen Staatsanwaltschaft führen in solchen Fällen nur selten zu Verurteilungen.

Jeden Euro sinnvoll einsetzen

Fragt man bei der EU nach, warum sie sinnlose Stadien bezahlt, die erst noch in manchen Fällen den Verdacht auf Korruption wecken, dann bekommt man eine allgemeine Antwort: Es sei Brüssel ein grosses Anliegen, dass jeder Euro Steuergeld sinnvoll eingesetzt werde.

Zu einzelnen Vorhaben sagt die EU nichts, denn es ist Sache der Mitgliedsländer, das Geld aus Brüssel zu verteilen und damit etwas zu bauen. Der Union ist allerdings schon bewusst, dass vieles schiefläuft mit ihrem Geld. Nicht zuletzt deshalb gibt es neu eine europäische Staatsanwaltschaft, die bei Verdacht auf Verschwendung und Korruption ermitteln kann.

Die Dörfer der Gemeinde Lesitschovo mit ihren drei Sportstätten bewerben sich in Brüssel gerade um Geld für Wasserleitungen. Auf die Kanalisation warten sie weiterhin.

Rendez-vous, 29.3.2021, 12:30 Uhr

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