Darf es ein bisschen mehr sein? 1.000, 1.074 oder sogar 1.114 Prozent? In den Verhandlungen über das EU-Budget für die kommenden sieben Jahre entspricht die erste Stelle hinter dem Komma nicht weniger als 100 Milliarden Euro.
Sparen, Beiträge erhöhen – oder ein Kompromiss?
Lediglich 1.000 Prozent ihres jeweiligen Bruttosozialprodukts sollen die 27 Mitgliedstaaten an die EU überweisen müssen. Dies fordern die Niederlande, Schweden, Österreich und Dänemark – die «sparsamen Vier», wie sie in Brüssel genannt werden. Frankreich, Italien und viele Osteuropäer drängen auf deutlich höhere Beiträge, so auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Verhandlungsgrundlage beim heutigen Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs ist ein Kompromissvorschlag von Ratspräsident Charles Michel: 1.074 Prozent. Das entspräche rund 1.1 Billionen Euro für sieben Jahre – jährlich etwa 156 Milliarden.
Der Brexit erschwert die Verhandlungen
Besonders schwierig sind die Verhandlungen, weil die EU mit dem Brexit den zweitgrössten Nettozahler verloren hat. Jetzt geht es darum, ob die reichen EU-Staaten bereit sind, als Folge des Brexits mehr Geld zu überweisen. Und inwieweit die armen Staaten den Gürtel werden enger schnallen müssen.
Zumal der grösste Teil der EU-Gelder nicht in Brüssel bleibt, sondern zurück in die Mitgliedstaaten fliesst. So werden bisher mehr als 60 Prozent für die Unterstützung armer Regionen aufgewendet, vor allem im Osten und Süden der EU, sowie für die Bauern und die Agrarindustrie.
Prioritäten sollen anders gesetzt werden
Doch Ursula von der Leyen und viele westeuropäische EU-Länder wollen die Prioritäten anders setzen. Mehr Geld als bisher soll den beiden grossen Zukunftsprojekten der EU zukommen: dem ökologischen und digitalen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft. Auch die gemeinsame Verteidigungspolitik soll üppiger finanziert werden.
Dieselbetriebene Stadtbusse in Rumänien oder Windräder vor den Küsten der EU? Subventionen für die Schweinezucht oder für die Entwicklung künstlicher Intelligenz und gemeinsamer Waffensysteme? In der EU tobt ein erbitterter Verteilkampf.
Auch um Rabatte wird gestritten
Und auch ein Kampf ums Kleingedruckte. Bisher geniessen viele reiche EU-Staaten Rabatte auf ihre Beiträge, doch Ratspräsident Michel will diese Rabatte schrittweise streichen. Umgekehrt fordern Länder wie Deutschland oder die Niederlande, dass einem EU-Staat Mittel vorenthalten werden können, wenn zum Beispiel die dortigen Gerichte nicht unabhängig arbeiten.
Zu guter Letzt geht es bei den Verhandlungen auch um zusätzliche EU-Einnahmen über die Mitgliederbeiträge hinaus. So könnte die EU zum Beispiel eine sogenannte Plastiksteuer erheben dürfen, eine Abgabe auf Plastikmüll. Das Geld würde direkt nach Brüssel fliessen, ohne Umweg über die Mitgliedsstaaten. Auch das ist umstritten.
Zieht sich der Entscheid noch Monate hin?
Angesichts der vielen ungelösten Tagesordnungspunkte ist fraglich, ob ein Deal in den kommenden Tagen gelingen kann. EU-Ratspräsident Charles Michel drängt zwar darauf, er will nötigenfalls vielleicht sogar bis ins Wochenende hinein verhandeln. Doch es fehlt eine Deadline. Bis Ende 2020 läuft das alte Budget. Über den Billionen-Deal für die Zeit danach kann notfalls zehn weitere Monate lang verhandelt werden.
Tagesschau, 20.02.2020, 19.30 Uhr