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EU unter neuer Führung «Einzelne Köpfe spielen nicht so eine grosse Rolle»

Der Luxemburger Jean-Claude Juncker ist seit 2014 EU-Kommissionspräsident. Am 1. November wird er von Ursula von der Leyen abgelöst. Mit ihr an der Spitze der EU stellt sich die Frage, wie sich die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU künftig entwickeln. Politologin Stefanie Bailer rechnet nicht mit neuen Zugeständnissen aus Brüssel.

Stefanie Bailer

Expertin für EU-Fragen

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Stefanie Bailer ist Professorin für Politikwissenschaften an der Universität Basel. Ihr Themengebiet umfasst die Parlamentarismusforschung in Deutschland, in der Schweiz und in Europa, die Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union und die internationale Verhandlungsanalyse.

SRF News: Wird das Verhältnis der EU zur Schweiz mit der neuen EU-Kommissionspräsidentin entspannter oder noch schwieriger?

Stefanie Bailer: Es wird sich nicht viel ändern. Sie bleiben gleichbleibend schwierig. Die Situation ist heute recht angespannt. Ich denke, die neuen, zentralen Akteure verändern nichts, weil die Situation einfach stark von der unterschiedlichen Verhandlungsmacht der Schweiz und der EU geprägt ist.

Wäre es wichtig, die Beziehungen zur EU bis Ende Oktober zu klären?

Wünschenswert wäre das, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass über die Sommerpause noch ganz zentrale Schritte gemacht werden. Das passiert selten in Brüssel.

Macht es einen Unterschied, wer an der Spitze der EU-Kommission steht?

Die stark unterschiedliche Verhandlungsmacht der EU und der Schweiz sind viel stärkere, dominierendere Punkte, die die Situation definieren. Verschiedene politikwissenschaftliche Studien finden, dass einzelne Köpfe nicht so eine grosse Rolle spielen, wie wir es manchmal annehmen.

Von der Leyen kann es sich gar nicht leisten, der Schweiz eine Sonderrolle einzuräumen.

Es ist viel zentraler, dass die EU gar kein Interesse daran hat, extrem stark auf die innenpolitischen Wünsche eines Landes einzugehen. Die Situation wird auch davon dominiert, dass im Moment andere Probleme anstehen. Der Brexit drängt sehr, mehr als auf die Wünsche der Schweiz einzugehen. Auch Migrationsthemen und die Probleme mit Polen und Ungarn sind drängender.

Es hat sich gezeigt, dass Deutsche für die Position der Schweiz am ehesten Verständnis zeigen. Ursula von der Leyen ist Deutsche. Sie glauben dennoch nicht, dass sich mit ihr die festgefahrenen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU ein bisschen auflockern könnten?

Die Hoffnung in die Deutschen halte ich grundsätzlich für etwas überhöht. Ein Generalsekretär Martin Selmayr oder Manfred Weber als Deutsche haben der Sache auch nicht gedient. Sie haben eher die Interessen der EU vertreten und sich nicht von ihrer Nationalität leiten lassen. Mit dem sehr knappen Abstimmungsergebnis von Ursula von der Leyen kann sie es sich zudem gar nicht leisten, der Schweiz eine Sonderrolle einzuräumen.

Von der Leyen hat in ihrer Rede von den Vereinigten Staaten von Europa gesprochen. Sie sieht Europa als Bundesstaat. Haben in diesem Modell bilaterale Verträge wie jene mit der Schweiz überhaupt noch Platz?

Es handelt sich um einen Sonderfall, der sich in der heutigen EU mit ihren Schwierigkeiten, mit ihren vielen Populisten und den unterschiedlichen Interessen der 28 Mitgliedstaaten als Modell vielleicht nicht mehr so entwickelt hätte. Aus EU-Sicht sind die Diskussion in der Schweiz verständlich. Aber die Verhandlungsposition der EU ist stark.

Gewisse Grundprinzipien sind eben nicht unendlich verhandelbar. Gerade auch im Hinblick auf den Brexit.

Sie hat kein Interesse daran, Zugeständnisse zu machen. Und es ist sehr fraglich, ob man mit zu vielen Konzessionen an die Schweiz ein Beispiel für andere Länder abgeben will, die vielleicht ähnliche Sonderwünsche haben. Gewisse Grundprinzipien sind eben nicht unendlich verhandelbar. Gerade im Hinblick auf den Brexit. Auch in Bezug auf das Rahmenabkommen habe keine Hoffnung, dass sich da gross etwas an der schwierigen Verhandlungsposition der Schweiz ändern wird.

Das Gespräch führte Susanne Stöckl.

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