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Extremisten aus der Mitte Die «Reichsbürger» erhitzen die Gemüter des Bundestags

Erneut wurden im Parlament Gesetzesverschärfungen gefordert. Ob sie umgesetzt werden, bleibt einmal mehr offen.

Das hässliche Bild gewaltbereiter Anhänger von Verschwörungsmythen sorgt in Deutschland für hohe Wellen – zuoberst ein Adliger, eine Richterin, Männer aus der Bundeswehr, Ärzte und viele andere.

Auch, als sich der erste Redner im Bundestag, Sebastian Hartmann/SPD, gegen die Rufe aus der AfD Fraktion wehrte: «Sie sind Teil des Problems, sie sind Feinde der Demokratie!», rief er zurück.

AfD – die Verharmloserin

Die rechtspopulistische AfD steht besonders im Fokus, weil eine ehemalige Bundestagsabgeordnete aus ihren Reihen, so der Verdacht, zum harten Kern der ausgehobenen «Reichsbürgerzelle» gehört. Kanzler Olaf Scholz nannte das schon vor Tagen einen sehr schlimmen Vorfall.

Sie von der AdD sind Teil des Problems, sie sind Feinde der Demokratie!
Autor: Sebastian Hartmann Bundestagsabgeordneter der SPD

Die AfD vermeidet es, sich deutlich von dieser Parteikollegin zu distanzieren. Und auch, wenn ihr Abgeordneter Gottfried Curio kurz von kriminellen Staatsfeinden spricht, relativiert er das zugleich wieder. Die Demokratie müsse nicht erzittern, sagte er und nannte die geheimen Zusammenkünfte auf dem Jagdschloss ein «Kaffeekränzchen».

«Reichsbürger»-Flaggen im Nachbargarten

Dieses stete Lächerlichmachen verurteilten alle anderen Parteien auf Schärfste. Irene Mihalic/Grüne stellte fest, dass diese Erzählungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft «anschlussfähig» seien: «Deshalb ist es gefährlich, wenn ‹Reichsbürger› und Rechtsextreme auf Corona-Protesten Zustimmung finden; und Menschen sich nicht daran stören, wenn ‹Reichsbürger›-Flaggen im Nachbargarten wehen.»

Deshalb ist es gefährlich, wenn ‹Reichsbürger› und Rechtsextreme auf Corona-Protesten Zustimmung finden.
Autor: Irene Mihalic Bundestagsabgeordnete der Grünen

Brisant ist, dass ehemalige Bundeswehrsoldaten unter den Verdächtigen sind. Sie sind an der Waffe ausgebildet, mit Zugang zu Informationen – eine besonders gefährliche Kombination. Eines der Anliegen ist darum, dass solche Leute aus der Organisation ausgeschlossen werden können.

Laut Expertinnen braucht es dafür viel Aufklärung und konsequentes Führungspersonal.

Faeser am Rednerpult.
Legende: Innenministerin Nancy Faeser will «Reichsbürgern» konsequent die Waffenerlaubnis entziehen – doch der Justizminister will da nicht mitspielen. Keystone/Kay Nietfeld

Umstrittene Massnahmen gegen Waffenbesitzer

Viele in dieser «Reichsbürger»-Szene besitzen ganz legal Waffen. Deshalb wolle sie, dass «Reichsbürgern» und Extremisten konsequent die Waffenerlaubnis entzogen werde, sagte Innenministerin Nancy Faeser. In diesem Bereich gibt es allerdings Widerspruch vom Justizminister – das geltende Recht sei scharf genug.

Auf Bundesebene gibt es in solchen Fällen stets Ankündigungen von Gesetzesverschärfungen – doch die werden auf Länderebene nicht umgesetzt.
Autor: Timo Reinfrank Experte für Rechtsextremismus

Die Verschärfung der Gesetze stehe stets zur Diskussion, wenn solche Ereignisse die Öffentlichkeit aufschreckten, sagte der Rechtsextremismusexperte Timo Reinfrank gegenüber SRF schon im Frühling nach einer Razzia in der Rechtsextremenszene. Allerdings: «Es gibt auf Bundesebene dann Ankündigungen für Gesetzesverschärfungen, doch die werden auf Länderebene nicht umgesetzt.»

Wichtig wäre es, so die Meinung vieler Expertinnen, die Prävention zu stärken. Mit dieser Absicht soll das sogenannte Demokratiefördergesetz nun auf den Weg gebracht werden. Zur Förderung des Ehrenamts, aber auch etwa zur Planbarkeit von zivilgesellschaftlichen Projekten.

So oder so: Es braucht einen langen Atem. Die Radikalisierung hingegen verläuft immer rascher.

Echo der Zeit, 14.12.2022, 18:00 Uhr

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