Zum Inhalt springen

Flüchtlingskrise in Idlib «Es braucht dringend eine UNHCR-Krisenkonferenz»

Die Türkei droht damit, syrische Flüchtlinge nicht länger vor einer Flucht nach Europa abzuhalten – falls Nato und EU sie bei ihrem militärischen Engagement in Syrien nicht unterstützen.

Für Migrationsforscher Gerald Knaus ist das Populismus. Er fordert eine Zusammenarbeit der Internationalen Gemeinschaft.

Gerald Knaus

Migrationsexperte

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Der Österreicher Gerald Knaus ist Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative , die sich als Denkfabrik mit dem Verhältnis Südosteuropas mit Westeuropa befasst. Der Migrationsexperte gilt als Architekt des Migrationsabkommens, das die EU mit der Türkei abgeschlossen hat.

SRF News: Was ist von der türkischen Drohung in Richtung EU und Nato zu halten?

Gerald Knaus: Wenn in der aktuell dramatischen Situation Irrationalität und Populismus um sich greifen, haben alle verloren – und Erdogans Drohung fällt in diese Kategorie. Dazu gehören aber auch die griechischen Soldaten an der Grenze zur Türkei, denn dadurch werden nicht weniger Flüchtlinge in Boote steigen, um nach Griechenland zu gelangen.

Die Europäer und die Türkei haben ein gemeinsames Interesse.

Was es jetzt braucht, ist Zusammenarbeit: Die Europäer, Griechenland und die Türkei haben das gemeinsame Interesse, dass es Assad und Putin nicht gelingt, die Krise aus Syrien in die Nachbarländer zu tragen, indem sie Hunderttausende Flüchtlinge in die Türkei treiben. Alles andere als Zusammenarbeit zielt bloss auf kurzfristige Schlagzeilen ab und ist Populismus.

Ist die Drohung Ankaras ein Erpressungsversuch an Europa oder auch ein Zeichen ans türkische Volk der vermeintlichen Stärke?

Sie ist ein Zeichen der Schwäche. Die Türkei hat schon mehr als 3.6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, jedes Jahr werden es wegen der Geburten rund 100'000 mehr. Dafür hat die Türkei von der EU Milliarden an Hilfsgeldern erhalten. Wenn die Hilfe nun ausläuft, steht Erdogan vor einem Riesenproblem – wie auch die EU, wenn sich viele Syrer auf den Weg nach Europa machen.

Es braucht dringend eine Konferenz des UNHCR, um den Flüchtlingen zu helfen.

Die Türkei hat kein Interesse daran, dass ein paar Hunderttausend Syrer das Land in Richtung Europa verlassen, wenn als Folge davon Milliarden an Hilfsgeldern ausbleiben. Deshalb sollte die EU jetzt dringend zusagen, dass das Geld weiter fliesst. Ausserdem braucht es dringend eine Konferenz des UNHCR, um gemeinsam zu überlegen, wie man den aus Idlib fliehenden Menschen solidarisch helfen kann.

Kinder im Flüchtlingslager.
Legende: Assad wolle die Flüchtlinge nicht in Syrien, sagt Migrationsexperte Knaus. imago images

Wie ist die Situation der Flüchtlinge in Idlib?

Sie ist dramatisch. Vor allem ist inzwischen völlig klar, dass Assad die Menschen in Idlib nicht mehr in Syrien haben und sie vertreiben will. Derzeit ist die Grenze zur Türkei für sie aber geschlossen. Über kurz oder lang wird es allerdings gar keine andere Möglichkeit geben, als dass sie in die Türkei eingelassen werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass das kontrolliert abläuft – dass gefährliche Dschihadisten so nicht ebenfalls in die Türkei oder nach Europa gelangen können.

Wie können diese Menschen jetzt konkret in Sicherheit gebracht werden?

In Syrien sind sie nicht sicher, deshalb müssen sie in die Türkei fliehen können. Der Westen muss der Türkei gleichzeitig signalisieren, dass sie dabei unterstützt wird. Auch müssen Europa und andere Länder bereit sein, Schutzbedürftige aufzunehmen, um eine chaotische Migration wie im Sommer 2015 zu verhindern.

Europa muss bereit sein, Schutzbedürftige aufzunehmen.

Die Weltgemeinschaft muss an einem Strick ziehen. Deutschland kann das Problem nicht allein lösen. Wenn auch Kanada, Malaysia, Indonesien, Marokko und andere Länder, die in den letzten zehn Jahren reicher geworden sind, ihre Verantwortung übernehmen, könnte man den Menschen helfen. Denn in Syrien werden sie nie sicher sein.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Meistgelesene Artikel