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Gaza-Krieg «Wir hoffen und träumen, dass der Krieg bald zu Ende geht»

Sumaya Farhat-Naser gilt als Brückenbauerin zwischen Israeli und Palästinensern. Die 75-jährige christliche Palästinenserin lebt im Westjordanland, derzeit befindet sie sich in Bern. Im Interview schildert sie ihre Hoffnungen und Gefühle angesichts der aktuellen Situation.

Sumaya Farhat-Naser

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Sumaya Farhat-Naser gilt als Brückenbauerin zwischen Israeli und Palästinensern. Die 75-jährige christliche Palästinenserin lebt im Westjordanland, und widmet sich seit Jahrzehnten der Friedensarbeit und dem gegenseitigen Verständnis. Sie hat in Deutschland Biologie, Geografie und Erziehungswissenschaften studiert. Farhat-Naser hat mehrere Bücher über die Hintergründe des Nahostkonflikts geschrieben und ist regelmässig auf Vortragsreisen im deutschsprachigen Raum , zurzeit in Bern.

SRF News: Was besprechen Sie mit Ihren israelischen Freunden über den Krieg?

Sumaya Farhat-Naser: Die Kommunikation ist zurzeit nur über elektronische Mittel möglich, persönliche Treffen sind nicht möglich. Dabei tauschen wir Gedanken über die aktuelle Situation aus, wir trauern, träumen und hoffen gemeinsam – dass der Krieg bald zu Ende geht und Verhandlungen stattfinden.

Sie haben kürzlich gesagt, der Krieg sei für Sie keine Überraschung. Wieso nicht?

Die letzten zwei Jahre waren für die Menschen in den besetzten Gebieten und im Gazastreifen katastrophal. Die fanatisch-radikale israelische Regierung hat ihnen das Leben zur Qual gemacht.

Fanatisch-religiöse Israeli haben die religiösen Gefühle der Muslime und der Christen immer wieder massiv verletzt.

Im Westjordanland wurden viele Palästinenser verhaftet, derweilen wurden weiter israelische Siedlungen gebaut. Fanatisch-religiöse Israeli haben die religiösen Gefühle der Muslime und der Christen immer wieder massiv verletzt – indem sie Heiligtümer wie die Al-Aksa-Moschee zum Beten beschlagnahmten. Deshalb heisst der von der Hamas angefangene Krieg «Sintflut der Al-Aksa-Moschee».

Sie haben 1997 im Schweizer Fernsehen gesagt : «Es wird zuerst eine schreckliche Zerstörung beider Gesellschaften geben, bis die Machthaber beider Seiten sehen, dass es so nicht weitergeht.» Sind wir an diesem Punkt?

Ja. Die Politiker auf beiden Seiten haben uns Menschen in die Irre geführt – die Brutalität und die Besatzung wurden geduldet. Alle haben zugeschaut und nichts gemacht – auch Europa und die USA. Sie liessen Israel seinen Plan in den besetzten Gebieten umsetzen, entsprechend hat dort der Widerstand gegen Israel zugenommen.

Welche Fehler haben die Palästinenser gemacht?

Viele. Es wurde intern gestritten, zugleich man hat geglaubt, man erhalte Freiheit durch Verhandlungen. Dabei gab es aber keine Fortschritte, was die palästinensischen Behörden schwächte. Sie verloren Respekt und Glaubwürdigkeit unter den Palästinensern – auch, weil sie nur noch dazu da waren, um die Sicherheit der Israeli zu schützen, aber nicht jene der Palästinenser.

Netanjahu hat mehrmals gesagt, er brauche die Hamas, damit Israel keinen Frieden mit der säkularen Fatah machen müsse.

Dadurch wurde die mit der Palästinenserbehörde und damit die mit der Fatah rivalisierende Hamas stärker. Israel hat die Hamas immer unterstützt, damit die Kluft zur Fatah erhalten bleibt. Israels Premier Netanjahu hat mehrmals gesagt, er brauche die Hamas, damit Israel keinen Frieden mit der säkularen Fatah machen müsse.

Glauben Sie noch an eine Zweistaatenlösung?

Israel hat alles dafür getan, dass es nicht so weit kommt – beide Seiten sind am Nationalismus erkrankt. Die beste Lösung wäre ein einziger Staat Palästina-Israel, in dem alle Menschen gleich sind vor dem Gesetz. Jetzt gibt es Gesetze für Israeli und solche für Palästinenser.

Man sollte nicht ständig die Nachrichten schauen – die schrecklichen Bilder hindern einen daran, klar zu denken.

Wie verlieren Sie unter den aktuellen Umständen nicht den Glauben an den Sinn Ihrer Arbeit mit Frauen und Jugendlichen?

Die Kinder und Frauen lernen bei mir die Bedeutung des Friedens in sich selbst. Dieser ist die Basis, um einen äusseren Frieden zu erreichen. Man sollte nicht ständig die Nachrichten schauen. Die schrecklichen Bilder der Zerstörung und des Tötens schlagen auf das Gemüt und hindern einen daran, klar zu denken. Es ist wichtig, psychisch gesund zu bleiben – denn wir haben Aufgaben gegenüber unseren Kindern und der Gesellschaft.

Das Gespräch führte Daniel Hofer.

Rendez-vous, 24.11.2023, 12:30 Uhr ; 

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