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Gefangen im Libanon «Sklaven und Esel sind nicht zum Ausruhen da»

Hunderttausende Afrikanerinnen arbeiten im Nahen Osten als Hausangestellte – oft in sklavenartigen Verhältnissen.

«Sie sagten, wir Afrikanerinnen seien Sklavinnen, minderwertige Menschen. Sie nannten uns Esel.» Und Esel seien nicht dazu da, auszuruhen, sondern um zu arbeiten – ohne Ende. Die junge Frau, die ihren Namen nicht nennen will, ist zutiefst erleichtert, wieder in Kenia zu sein. Neun Jahre hatte sie im Libanon verbracht. Sie wurde misshandelt, beschimpft, sexuell belästigt.

Nach der Explosion in Beirut Anfang August hatte sie alles verloren. Ihren Job, ihr Zuhause. Gemeinsam mit Frauen aus verschiedenen afrikanischen Ländern protestierte sie darum während Wochen vor der kenianischen Vertretung in Beirut und forderte die Regierung auf, ihre Bürgerinnen zurück nach Kenia zu holen. Der Druck wirkte, seit Anfang September ist die 34-Jährige wieder in Nairobi.

Frau mit Dokument in den Händen
Legende: Nach neun Horrorjahren in Libanon konnte die junge Kenianerin wieder nach Hause. SRF

Eine Viertelmillion Hausangestellte

Zu gut erinnert sich die Frau, die in einem Kirchgemeindehaus im Nairobi-Quartier South B ihre Geschichte erzählt, an ihren ersten Arbeitsort, damals im Jahr 2011. «Ich war für die Kinder zuständig, doch ich durfte sie nicht mit blossen Händen anfassen, nur mit Handschuhen – weil ich schmutzig sei.»

Sie habe jeden Tag von fünf Uhr morgens bis ein Uhr nachts arbeiten müssen. Nahrung gab es oft zu wenig. Und selbst beim Essen durfte sie sich nicht hinsetzen, sondern musste stehen.

Im Libanon mit seinen rund sieben Millionen Einwohnern gibt es eine Viertelmillion Hausangestellte. Die grosse Mehrheit kommt aus Afrika. Laut Amnesty International waren 2018 allein aus Äthiopien rund 150’000 Hausangestellte registriert.

Schild mit Jobangebot
Legende: In der kenianischen Hauptstadt Nairobi werden Hausangestellte aktiv angeworben. SRF

Neun Horrorjahre im «Kafala»-System

Die meisten sind Opfer des sogenannten «Kafala»-Systems, das in vielen Ländern im Nahen Osten die Arbeitsmigration regelt. Ein einheimischer Bürge, ein sogenannter Sponsor, bezahlt die Reise der Haushaltshilfen. Im Gegenzug müssen die Frauen eine bestimmte Anzahl Jahre für den Bürgen arbeiten. Der Aufenthaltsstatus der Migrantinnen ist somit an den Sponsor gebunden.

Frau mit Pass in den Händen
Legende: Charakteristisch für das Kafala-System ist, dass den Frauen bei ihrer Ankunft der Pass weggenommen wird. SRF

Charakteristisch dabei ist, dass den Frauen als Erstes der Pass weggenommen wird. «Es gibt zwei grosse Probleme beim «Kafala»-System. Erstens werden Frauen von Agenten in ihren Heimatländern mit falschen Versprechen in den Nahen Osten gelockt. Und zweitens gibt das System den Sponsoren uneingeschränkte Macht», sagt Dima Haddad von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) im Libanon. So seien die Hausangestellten gänzlich auf den Goodwill des Bürgen angewiesen.

Auch die Kenianerin, die zurück in Nairobi ihre Geschichte erzählt, war ihren Sponsoren gänzlich ausgeliefert. «Die Hausherrin sagte mir: Wir haben 4000 US-Dollar für dich bezahlt. Also wirst du für uns arbeiten, zehn, zwanzig Jahre, das entscheiden allein wir.» Sie durfte das Haus, in dem sie arbeitete, nie verlassen. Von den 200 US-Dollar pro Monat, die ihr versprochen worden waren, sah sie nie etwas.

Viele Mädchen bringen sich um oder werden von ihren ‹Madams› getötet.
Autor: Frühere Hausangestellte

Irgendwann gelang es der jungen Frau, bei Nacht und Nebel zu fliehen. Sie fand eine andere Familie. Bis der Hausherr anfing, sie sexuell zu belästigen.

Der Preis, den die ausländischen Hausangestellten in Libanon bezahlten, sei hoch, so die junge Frau: «Viele Mädchen bringen sich um oder werden von ihren ‹Madams› getötet.» Laut Human Rights Watch starb 2008 jede Woche eine ausländische Hausangestellte eines unnatürlichen Todes: Die weitaus meisten Todesfälle gingen auf Suizid zurück.

Nur wieder nach Hause

Mehrere Jahre versuchte die junge Frau, nach Kenia zurückzukehren. Doch sie konnte die Ausreise nicht bezahlen. «Weil ich keine Aufenthaltsbewilligung hatte, hätte ich für jedes Jahr im Land Strafe zahlen müssen, rund 1000 Dollar.» Das Geld hatte sie nicht.

Umso weniger, als sie Anfang dieses Jahres ihre letzte Stelle verlor: «Es zeichnete sich bereits 2019 ab: Die libanesische Wirtschaft ging den Bach runter, die Proteste fingen an, dann kam Corona.» Es gab keine Arbeit mehr für die afrikanischen Hausangestellten. Die junge Kenianerin teilte sich ein Zimmer mit fünf anderen Frauen und fünf Kindern, wovon zwei ihre eigenen waren.

Bis die Explosion in Beirut Anfang August ihr Zuhause zerstörte und sie auf der Strasse landete. Mit rund sechzig anderen Kenianerinnen habe sie drei Wochen lang vor der kenianischen Vertretung in Beirut übernachtet, erzählt die junge Frau.

Frauen protestieren auf der Strasse
Legende: Während Wochen protestierten Hausangestellte aus verschiedenen afrikanischen Ländern vor ihren diplomatischen Vertretungen. SRF

Tagsüber protestierten die Kenianerinnen und forderten ihre Regierung auf, sie zu repatriieren. Frauen aus Äthiopien taten dasselbe vor ihrem Konsulat, andere Afrikanerinnen kamen dazu. Während Wochen campierten sie vor ihren diplomatischen Vertretungen und machten lautstark ihrer Forderung Luft.

Mittlerweile haben verschiedene afrikanische Regierungen ihre Bürgerinnen ausfliegen lassen. Geholfen dabei hat, dass die libanesischen Behörden die Ausreisestrafgebühren erliessen für all die Frauen, die sich jahrelang illegal im Land aufgehalten hatten.

«Es ist nun vor allem wichtig, die rechtlichen Grundlagen im Libanon so zu ändern und durchzusetzen, dass die Frauen nicht mehr ausgebeutet werden können.»
Autor: Dima Haddad IOM-Mitarbeiter

Laut Dima Haddad von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) würden aber immer noch viele afrikanische Hausangestellte festsitzen im Libanon. Tausende seien auf Unterstützung angewiesen in Form von Essen, medizinischer Versorgung oder Rückkehrhilfe. «Es ist nun vor allem wichtig, die rechtlichen Grundlagen im Libanon so zu ändern und durchzusetzen, dass die Frauen nicht mehr ausgebeutet werden können», so Haddad.

Die Medienaufmerksamkeit durch die Explosion in Beirut spielte den afrikanischen Hausangestellten im Libanon kurzfristig in die Hände. Es ermöglichte vielen, in ihre Heimat zurückzugehen. Doch in anderen Ländern des Nahen Ostens hoffen noch immer Hunderttausende Afrikanerinnen auf ein Ende des sklavenartigen Verhältnisses.

Echo der Zeit, 08.10.2020, 18 Uhr

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