Das französische Gesundheitswesen soll reformiert werden. Dieser Plan besteht schon länger. Die Coronakrise hat die strukturellen Probleme jedoch erst richtig zum Vorschein gebracht. Präsident Emmanuel Macron hat versprochen, dass seine Regierung diese Probleme anpacken werde.
Es geht um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Die finanzielle Offerte der Regierung liegt seit dieser Woche auf dem Tisch: 7.5 Milliarden Euro will sie ins Gesundheitswesen investieren. Nach Meinung der Gewerkschaften reicht dies nicht aus. Die Verhandlungen sollen bis Ende Woche weitergehen.
Jean Rottner ist Präsident der Region Grand-Est. Das ist jene Region, die mit Städten wie Strassburg, Colmar und Mülhausen besonders von der Coronakrise betroffen war. Für ihn geht es bei den Verhandlungen allerdings nicht nur um Finanzen: «Wir haben in Frankreich zu wenig Verbindungen zwischen Hausärzten und Spitälern. Wir brauchen mehr Koordination.» Heute gingen die meisten Leute direkt in die Notfallstation. «Diese soll aber Notfällen vorbehalten bleiben. Wir müssen sie durch Allgemeinpraktiker entlasten.» Rottner kennt das Thema auch beruflich.
Hausärzte müssen einbezogen werden
Er ist Arzt und Notfallmediziner sowie Präsident des regionalen Spitalverbands im Oberelsass. Der runde Tisch sei zum Erfolg verpflichtet, meint er. «Man darf nicht nur von öffentlichen Spitälern reden, sonst scheitert die Reform. Man muss die privaten miteinbeziehen und unbedingt auch die Grundversorgung durch Hausärzte. Dabei dürfen wir nicht nur über die Lohnanpassungen reden. Wir müssen die ganze Organisation überdenken.»
Damit kommen die Regionen ins Spiel. Eine der grossen Schwächen des französischen Gesundheitssystems sei die enorme Zentralisierung, sagt Rottner. «Unser Gesundheitssystem ist mittlerweile ein wahres Mammut.»
Auch regionale und lokale Behörden müssten mitentscheiden können, etwa wenn es um Spitalschliessungen geht.
Spitaldirektoren seien zu blossen Transmissionsriemen der nationalen Gesundheitsagentur geworden. Sie hätten kaum noch Entscheidungsspielraum und müssen nur noch die Anweisungen ihrer Vorgesetzten befolgen. «Auch regionale und lokale Behörden müssten mitentscheiden können, etwa wenn es um Spitalschliessungen geht.»
Sieben Wochen sind nicht genug
Bis Ende Woche will sich die Regierung mit den Gewerkschaften in den zentralen finanziellen Fragen einigen. Es soll aber auch Empfehlungen zu grundlegenden Veränderungen geben. Rottner sieht dies nur als erste Etappe in einem längeren Prozess: «Wir werden das Gesundheitswesen nicht innerhalb von sieben Wochen umwandeln können. Es geht dabei auch um die Dezentralisierung, um soziale Gerechtigkeit und um Kostentransparenz.»
Wenn jemand heute in einer Apotheke ein Medikament kaufe, kenne er oder sie vielleicht nicht einmal den Preis, kritisiert Rottner. «Die Grundversorgung ist gratis, aber die Bevölkerung soll verstehen, wie sich die Gesundheitskosten entwickeln, damit wir diese Kosten senken können.»
Aber das System müsse ausgeglichen und gerecht sein. Rottner sieht die Reform des Gesundheitswesens deshalb als neuen Gesellschaftsvertrag.