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Gewalt in Haftanstalt Feuer in berüchtigtem Gefängnis in Teheran

  • Im berüchtigten Ewin-Gefängnis in der iranischen Hauptstadt Teheran ist am Samstag ein Grossbrand ausgebrochen.
  • Die staatliche Nachrichtenagentur Irna berichtete zunächst von einer Auseinandersetzung zwischen Insassen mit den Gefängniswärtern. Mindestens vier Gefangene seien ums Leben gekommen.
  • Was genau in dem Gefängnis geschah, lässt sich nicht unabhängig überprüfen.

Das Textillager der Strafanstalt sei in Brand gesteckt worden, schrieb die Agentur. Die Lage sei jedoch nach kurzer Zeit unter Kontrolle gebracht worden. Die Feuerwehr habe den Brand inzwischen gelöscht. Nach offiziellen Angaben sind mindestens vier Gefangene ums Leben gekommen. Sie seien an einer Rauchvergiftung gestorben, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Irna. 61 weitere Personen seien beim Brand verletzt worden.

Undeutliche Aufnahme von Feuer und Rauch
Legende: Über dem Ewin-Gefängnis in Teheran steigt Rauch auf. Reuters / Social Media

In einem am Sonntag im Staatsfernsehen gesendeten Video war zu sehen, dass offenbar Ruhe eingekehrt war. Die Hintergründe für den Brandausbruch sind derzeit noch offen. Die Staatsanwaltschaft bestritt einen Zusammenhang mit den anhaltenden systemkritischen Protesten, die sich seit vier Wochen im Land ausgebreitet haben. Bei dem Zwischenfall am Samstag habe es sich um einen internen Konflikt im Gefängnis zwischen verurteilten Dieben gehandelt.

Augenzeugen berichteten, dass am Samstagabend zunächst laute Explosionen und auch Schüsse in der Haftanstalt zu hören waren. Ein Reporter der reformorientierten iranischen Tageszeitung «Shargh» hörte selber mehrere Explosionen beim Gefängnis. Die Strassen rund um die Haftanstalt seien abgesperrt worden.

Drei Fragen an Natalie Amiri (ARD)

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SRF News: Was weiss man aktuell über die Umstände des Brandes im Ewin-Gefängnis in Teheran?

Natalie Amiri: Es herrschte riesengrosses Entsetzen in Teheran und auch in der iranischen Gemeinschaft ausserhalb des Irans. Jeder schaute auf dieses brennende Gefängnis, in dem sehr viele politische Gefangene sitzen, Lehrer inhaftiert sind und auch viele ausländische Gefangene sitzen. Auch die Demonstrantinnen und Demonstranten, die in den letzten Wochen inhaftiert worden sind, sitzen hier ein ohne Gerichtsprozess.

Viele Angehörige sind in der Nacht fast gestorben vor Angst, so kann man das sagen. Was wir gehört haben ist, dass gestern um 4 Uhr nachts Menschen aus dem Gefängnis abtransportiert worden sind. Man unterstellt dem Regime, es soll Erschiessungen gegeben haben von den grössten Kritikern des Regimes in der Protestbewegung.

Und das Regime wird auch beschuldigt, das Feuer gelegt zu haben, um sich dieser Kritiker zu entledigen. Insofern sind das sehr, sehr schwere und sehr gefährliche Vorwürfe für das Regime, was Folgen haben wird.

Laut den iranischen Behörden gibt es zwischen dem Brand und der aktuellen Protestwelle keinen Zusammenhang. Vielmehr sei ein interner Konflikt zwischen zwei Gefangenen eskaliert. Wie glaubhaft ist diese Darstellung?

Sie sagten auch, Randalierer hätten eine Auseinandersetzung mit den Gefängniswärtern begonnen und dann auch noch ein Textillager in Brand gesteckt. Das Wort Randalierer ist eine alte, bekannte Bezeichnung für politische Gefangene.

Ich konnte selber mit einem Inhaftierten sprechen, der zwei Jahre lang im Gefängnis sass. Er sagte, es hätte vielleicht Auseinandersetzungen zwischen Gefangenen gegeben, aber ein so grosser Brand könne gar nicht gelegt werden. Es gab nie einen Brand im Ewin-Gefängnis, der würde sofort im Keim erstickt. Deswegen der Vorwurf ans Regime, dass es diesen Brand selber gelegt hat.

Hat dieser Gefängnisbrand das Potenzial, zum Wendepunkt in der aktuellen Protestwelle zu werden?

Es hat ein sehr grosses Potenzial, denn es gab schon einmal einen Brand, der zu einer Revolution führte. Das war 1978, als das Cinema Rex in Abadan brannte. Man schob es dannzumal dem damaligen Herrscher, dem Schah, in die Schuhe.

Der Brand vom Samstagabend wurde rasch mit dem Brand im Cinema Rex in Verbindung gebracht. Und er schürt die Wut der Menschen auf der Strasse, denn es sind viele umgekommen. Viele Menschen haben Freunde und Verwandte, die im Ewin-Gefängnis sitzen, und sie werden weiterhin auf die Strasse gehen, was man heute schon beobachten konnte.

Natalie Amiri ist eine iranisch-deutsche Journalistin sowie eine Fernsehmoderatorin und leitete von 2015 bis 2020 das ARD-Studio in Teheran.

Auch in sozialen Medien war von Schüssen die Rede. Auf tausendfach geteilten Videos waren chaotische Bilder rund um das Gefängnis zu sehen. Viele Angehörige von Inhaftierten eilten aus Sorge zum Ort des Geschehens, berichteten Medien. Das Feuer soll bis Mitternacht gebrannt haben und noch am frühen Morgen stieg Rauch auf.

Später wurden auch Hupkonzerte vernommen, die während der landesweiten Proteste immer wieder Zeichen der Solidarität mit den Demonstrierenden sind.

Viele politische Gefangene

Im Ewin-Gefängnis sitzen nicht nur zahlreiche politische Gefangene, sondern auch Demonstranten, die dort wegen ihrer Teilnahme an den systemkritischen Protesten der vergangenen vier Wochen inhaftiert sind.

Bereits vor wenigen Tagen war in einem Gefängnis im Norden des Iran eine Meuterei ausgebrochen. Dabei kamen einige Inhaftierte ums Leben.

Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell hat sich besorgt geäussert. «Wir erwarten maximale Transparenz über die Situation», schrieb er auf Twitter. Die iranischen Behörden seien für das Leben aller Inhaftierten verantwortlich. Dazu gehörten auch ausländische Bürger. Borrell teilte weiter mit, er habe dem iranischen Aussenminister Hussein Amirabdollahian seine «schwerwiegendsten Sorgen» übermittelt.

SRF 4 News, 16.10.2022, 7:00 Uhr ; 

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