Das Kopftuch ist in der Islamischen Republik Iran ein wichtiges Kleidungsstück. Frauen müssen ihre Haare in der Öffentlichkeit zwingend bedecken. Wenn das Kopftuch versehentlich verrutscht, kann dies zu Sanktionen führen – im Fall der 22-jährigen Mahsa Amini war es möglicherweise der Grund für ihren Tod.
Das war nicht immer so: Nachdem sich die Schahs, die persischen Herrscher, schon im 19. Jahrhundert zunehmend für den europäischen Lebensstil interessiert hatten, schlugen sie ab den 1920er-Jahren definitiv einen prowestlichen Kurs für den Iran ein.
Verwestlichung, exekutiert am weiblichen Körper
Der Ex-Offizier Reza Schah Pahlavi modernisierte die Verwaltung und die Wirtschaft. Alte und starre gesellschaftliche Regeln wurden über Bord geworfen. Frauen mussten keinen Schleier mehr tragen. Der Schleier wurde am 29. Mai 1936 von einem Tag auf den anderen sogar verboten.
Reza Schah Pahlavi sah in der westlichen Kleidung ein Symbol der Modernisierung. Das Verhüllungsverbot war ein Mittel, um bei den Europäern mehr Respekt zu erlangen. Zugleich galt die Europäisierung der Türkei unter Kemal Atatürk als Inspiration.
Die Iranerinnen wurden so quasi zum Objekt einer erzwungenen Modernisierung – mit weitreichenden Folgen. Das staatliche Verbot beförderte eine privilegierte Schicht in die Moderne, während Frauen in anderen Gesellschaftsschichten ein befremdlicher Lebensstil aufgezwungen wurde.
Ein womöglich verklärter Blick zurück
Bilder der Shah-Familie mit Damen in modischer Kleidung, Föhnfrisuren oder Badekleidern gelten heute als Beweis für die damals erreichte Emanzipation. Tatsächlich galt dies nicht für die ganze Bevölkerung: In der Shah-Zeit konnte die Mehrheit der Iranerinnen nicht lesen und schreiben. Viele Reformen blieben erfolglos.
Als der amerikanische und britische Geheimdienst in den 1950er-Jahren einen Putsch verübten und der damalige Schah Mohammed Reza Pahlavi zunehmend als Marionette des Westens galt, stieg die Empörung immer mehr an. Am 16. Januar 1979 wurde der Schah gestürzt. Die Macht übernahm der schiitische Geistliche Ayatollah Chomeini.
Neues politisches Programm
Mit der islamischen Revolution traten strenge Kleidervorschriften in Kraft. Ayatollah Chomeini forderte wenige Tage nach der Machtübernahme, dass Frauen einen Hidschab tragen sollten.
Das Gebot der Verschleierung schien damals einen weiblichen Aufstieg nicht zu behindern – begünstigte ihn möglicherweise sogar indirekt. Mehr Mädchen gingen in die Schule und Ende der 1990er-Jahre waren die meisten Studienanfänger weiblich. Die Zahl der Kinder pro Frau fiel so stark, dass der Iran von der UNO ausgezeichnet wurde. Heute ist die Geburtenrate niedriger als in Frankreich.
Ideologie vs. Realität
Für die iranische Führung hat das Kopftuch heute noch eine wichtige Bedeutung. Auch gerade, weil sich der Iran immer mehr säkularisiert hat. Es gilt: Frauen ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit riskieren eine Festnahme, Stockhiebe, Haft oder eine Geldstrafe. Das Gesetz gilt für Mädchen ab neun Jahren.
In Realität sehen viele die Regeln eher locker und tragen ihr Kopftuch lose. So lehnt auch eine Mehrheit der Frauen den Kopftuchzwang ab. Das ging 2018 aus Ergebnissen von Umfragen hervor, die von den iranischen Behörden veranlasst worden waren.
Religiöse Politiker versuchen allerdings, die Gesetze strenger anwenden zu lassen. Die Niederschlagung der aktuellen Proteste zeigt, dass die Führung am Kopftuch festhält. Und so bleibt die Bekleidung der Iranerinnen weiterhin ein Politikum.