Die «Neue» Irisch-Republikanische Armee formierte sich vor sieben oder acht Jahren aus diversen, älteren Splittergruppen der ursprünglichen IRA. Diese hatte im Verlaufe des nordirischen Friedensprozesses abgerüstet, existiert aber wohl in Schattenform weiter.
Die «Neue IRA» zettelte im letzten Sommer Krawalle in Londonderry (auch Derry) an, wo sie vermutlich über den grössten Rückhalt verfügt. Ihre Mitläufer schikanierten die Bewohner eines isolierten protestantischen Quartiers.
Im letzten Januar zündete die Gruppe eine Autobombe vor dem Gerichtsgebäude in Londonderry. Nur durch ein Wunder kam niemand zu Schaden. Im März bekannte sich dieselbe Gruppe zu einer Reihe von Sprengsätzen, die per Post an Adressen in London und Glasgow versandt worden waren.
Schüsse im Verlauf eines Strassenkrawalls
Am letzten Donnerstagabend führte die nordirische Polizei Razzien im Creggan-Quartier von Londonderry durch, wo die «Neue IRA» prominent vertreten ist. Die Sicherheitskräfte befürchteten Anschläge über die historisch befrachteten Ostertage.
Denn dann gedenken irische Republikaner der Osterrebellion von 1916 gegen die damalige britische Herrschaft. Aus Protest gegen die Razzien zettelte die «Neue IRA» einen Strassenkrawall an, in dessen Verlauf die Journalistin Lyra McKee erschossen wurde.
Rund 200 militante Anhänger
Die Täter wähnen sich in den Fussstapfen der IRA. Ihre Zahl wird von Polizeiquellen auf rund 200 Personen geschätzt, teils unbelehrbare Anciens Combattants, teils neue Rekruten. Sie lehnen das Friedensabkommen vom Karfreitag 1998 ab und beharren auf der gewaltsamen Vertreibung der britischen Staatsorgane aus Nordirland.
Diese Haltung findet auf beiden Seiten der irischen Grenze nur noch minimalen politischen Rückhalt – die Polizei vermeldet denn auch eine ungewöhnlich intensive Zusammenarbeit der lokalen Bevölkerung mit den Ermittlern.
Die Splittergruppen sind in der Regel von Polizeispitzeln durchsetzt, sei es irischen oder nordirischen Agenten, die oft in der Lage sind, Anschläge zu verhindern.
Unsichere Zeiten in Nordirland
Nordirland hat seit über zwei Jahren keine eigene Regierung mehr. Das politische Vakuum erlaubt Gruppen wie der «Neuen IRA», im Trüben zu fischen. Sie wissen, dass sich mehr und mehr nordirische Katholiken und Nationalisten vom britisch-nordirischen Staat abwenden, den sie für gescheitert halten.
Die Befürchtung, dass der Brexit die Bande zwischen Nordirland und der Republik Irland zerschneiden könnte, nährt den Wunsch nach einer irischen Wiedervereinigung – allerdings bestimmt nicht mit den Methoden der «Neuen IRA».