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Gipfel in der Moldau Symbolische Gesten halten Europa nicht zusammen

Fast 50 Staats- und Regierungschef treffen sich im Osten der Moldau, nur rund 20 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt – mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski mittendrin. Damit ist schon gesagt, was beim zweiten Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft im Zentrum steht: der Krieg in der Ukraine.

Europa will auch mehr als ein Jahr nach dem grossflächigen russischen Angriff auf die Ukraine ein geeintes Bild gegenüber Russland abgeben. Das ist die Hauptbotschaft, die nach Ansicht vieler Staats- und Regierungschefinnen von diesem Gipfel ausgehen soll. Ein Gipfel als symbolische Geste.

Das Treffen in der Moldau zeigt auch, dass Europa mehr ist als die 27 Staaten der Europäischen Union. Eine Tatsache, die vor allem innerhalb der EU in den Jahren vor dem russischen Angriff auf die Ukraine eher ins Unterbewusstsein rutschte. Einerseits besteht Europa auch aus Ländern, die schlicht nicht Mitglied der EU sein wollen: aus Ländern wie der Schweiz, Grossbritannien oder Norwegen.

Andererseits besteht Europa aber auch aus Ländern wie der Moldau oder der Ukraine. Diese Länder wollen Mitglied der EU werden. Aus ihrer Sicht ist Europa die Europäische Union. Beide Staaten sind seit rund einem Jahr offizielle EU-Beitrittskandidaten. Sie – wie auch die Länder des westlichen Balkans – erwarten von Europa nicht nur symbolische Botschaften, wie sie vom Gipfeltreffen in der Moldau ausgehen. Sie wollen vor allem, dass es mit ihrem EU-Beitritt vorwärtsgeht.

Grosse Hoffnungen...

Exemplarisch zeigt sich das am Regierungsgebäude in der moldauischen Hauptstadt Chisinau. Dort hängt eine riesige EU-Flagge. So gross wie wohl in kaum einer EU-Hauptstadt. Die Aussicht auf einen EU-Beitritt verbinden viele Moldauerinnen und Moldauer mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Gewiss, um der EU beitreten zu können, sind in der Moldau oder der Ukraine tiefgreifende Reformen nötig – etwa im Bereich der Korruptionsbekämpfung. Doch selbst wenn diese Reformen gelingen, ist keineswegs sicher, ob die Moldau oder die Ukraine einen EU-Beitritt erreichen.

... aber sind sie realistisch?

Denn ebenso entscheidend ist, ob die EU grundsätzlich gewillt und fähig ist, neue Staaten aufzunehmen. Im Moment kann die Frage klar mit Nein beantwortet werden. Vor allem, wenn es um die Aufnahme wirtschaftlich schwacher Staaten wie der Moldau geht, ist die notwendige einstimmige Mehrheit unter den Mitgliedstaaten nicht in Sicht. Hier müsste die EU lukrative Alternativen zu einer Vollmitgliedschaft präsentieren – als Zwischenschritt vor einem Beitritt. Etwa ein vorübergehender Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum.

Solche Ideen können aber nicht an symbolischen Gipfeln wie jenem in der Moldau konkretisiert werden. Hier stehen die EU-Zentrale Brüssel und die EU-Mitgliedstaaten in der Verantwortung. Die EU täte gut daran, solche Alternativen bald zu präsentieren. Denn gerade das Beispiel der Moldau zeigt auch, dass die Begeisterung für Europa eine zarte Pflanze ist: Rund ein Drittel der Bevölkerung wünscht sich laut Umfragen enge Beziehungen zu Russland. Bleibt ein EU-Beitritt für das Land noch lange nur ein ferner Wunsch, könnte das diesem Lager Auftrieb verleihen. Und das könnte das Gegenteil von dem bedeuten, was die europäischen Staats- und Regierungschefs an ihrem Gipfel demonstrieren wollen: ein instabileres, unsichereres Europa.

Andreas Reich

EU-Korrespondent

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Andreas Reich ist seit November 2022 TV-Korrespondent von SRF in Brüssel. Zuvor arbeitete der studierte Jurist als Auslandredaktor und Onlineproduzent im SRF-Newsroom in Zürich und berichtete als freier Reporter aus Südosteuropa.

Tagesschau, 1.6.2023, 12:45 Uhr

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