Die einmonatige Aussetzung des Asylrechts durch Athen sei mit der Menschenrechtskonvention nicht vereinbar, sagt Völkerrechtlerin Evelyne Schmid.
SRF News: Können Sie die Argumentation der griechischen Regierung nachvollziehen?
Evelyne Schmid: Ich habe ein gewisses Verständnis, dass die griechische Regierung ihre schwierige Lage geltend macht. Allerdings ist die Aussetzung des Rechts von Menschen auf einen Asylantrag mit dem Völkerrecht nicht vereinbar. Griechenland darf gemäss Menschenrechtskonvention Menschen nicht zurückweisen, wenn diesen Folter oder anderes Unheil droht. Die betroffene Person muss ihre Fluchtgründe schildern können. Das geht nur, wenn der Einzelfall geprüft wird.
Laut Griechenland steht das Vorgehen im Einklang mit dem griechischen Recht, da die Menschen illegal einreisten. Was halten Sie von diesem Argument?
Griechenland hat sich freiwillig den völkerrechtlichen Verpflichtungen unterstellt und muss sie respektieren. Für die Menschenrechtskonvention spielt es keine Rolle, ob jemand grundsätzlich illegal oder legal in ein Land gekommen ist. Die Rechte gelten für alle Menschen auf griechischem Hoheitsgebiet.
Auch wenn die Rechtsprechung des Menschenrechtsgerichtshofs momentan in diesem Punkt etwas unklar ist, so ist sie doch in einem klar: Wenn es keine legalen Möglichkeiten gibt, ein Gebiet zu erreichen, darf ein Staat keine Rückführungen und Wegweisungen ohne Einzelfallprüfung durchführen.
Griechenland ist seit Jahren überdurchschnittlich von der Migration betroffen und fühlt sich alleingelassen. Ist das Vorgehen verständlich?
Die ganze Thematik zeigt einmal mehr auf, dass das europäische Migrationsregime so nicht menschlich funktionieren kann. Die Staaten an der Aussengrenze und im Innern haben unterschiedliche Interessen. Auch wurde Griechenland nicht immer völlig alleingelassen, sondern erhält eine gewisse Unterstützung. Aber es reicht nicht, nur die Frontex-Mission zu verstärken. Auch die Unterbringung und die Abwicklung der Asylverfahren müssen besser geregelt werden.
Ich wünschte mir etwas mehr Menschlichkeit.
Tragischerweise gibt es da seit Jahren nur sehr wenige Fortschritte. Man kann sogar die Frage nach einer allfälligen Mitverantwortung stellen, wenn andere europäische Staaten unter Umständen wissentlich Handlungen finanzieren und mittragen, die dann in Griechenland zu Menschenrechtsverletzungen führen. Ich habe mich daran gestört, das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über Griechenland lobend von einem «Schild» gesprochen hat. Ich stelle mir vor, dass diese Menschen dort nicht freiwillig mit Familien in der Kälte an der Grenze stehen, sondern weil sie um ihre Existenz fürchten. Ich wünschte mir etwas mehr Menschlichkeit.
Was sagen Sie dazu, wenn sich die EU hinter Griechenland stellt und sich gleichzeitig auf die Menschenrechte beruft?
Dies Haltung ist zumindest sehr ambivalent. Es ist durchaus legitim, dass Europa die schwierige Lage Griechenlands zur Kenntnis nimmt. Das Bild des Schildes ist aber nicht mit der Idee der Menschenrechte in Europa in Einklang zu bringen.
Das Gespräch führte Janis Fahrländer.