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Gründer von Bellingcat Eliot Higgins: «Ob wahr oder unwahr, ist vielen egal»

Solide Recherchen werden immer rarer – und zugleich hat es die Wahrheit schwer. Dagegen wehrt sich das Netzwerk Bellingcat und sein Gründer, Eliot Higgins.

Der Name «Bellingcat» stammt von in einer englischen Fabel, erzählt Eliot Higgins, der Gründer des Recherchenetzwerks: «Um sich zu schützen, hatten die Mäuse die Idee, der gefrässigen Katze eine Glocke umzuhängen, die die Mäuse jeweils durch ihr Gebimmel warnen würde. Bloss: Wer wagt es, ihr die Glocke umzuhängen?» 

Oft verbreiten die Täter eine Flut an widersprüchlichen Behauptungen. So sorgen sie für Informationschaos.
Autor: Eliot Higgins Gründer des Recherchenetzwerks Bellingcat

Die Aufgabe von Bellingcat bestehe darin, Menschen zu ermuntern, der Katze die Glocke umzuhängen, damit sie fortan vor ihr, von jenen, die ihnen Böses wollen, gewarnt seien, sagt der 45-jährige Brite.

Flugzeugabschuss und Chemiewaffeneinsatz

Einen Namen machte sich Bellingcat mit Recherchen, deren Erkenntnisse um die Welt gingen: jene zum Abschuss des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 durch prorussische Separatisten. Jene über den Einsatz von Streubomben und Chemiewaffen durch Syriens Diktator Bashar al-Assad. Oder jene über Moskaus Giftangriffe gegen den Ex-Spion Sergej Skripal oder den Oppositionsführer Alexej Nawalny.

Bellingcats Finanzierung ist gesichert

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Investigativer Journalismus hat es schwer. Bellingcat hat den Vorteil, berühmt zu sein. Die Finanzierung der Organisation mit rund fünfzig Festangestellten und Hundertschaften von Freiwilligen ist gesichert. Sie stützt sich auf Einnahmen aus Seminaren und öffentlichen Auftritten. Und auf eine Vielzahl von Donatoren – von kleinen Familienstiftungen bis zur «Open Society Foundation» von George Soros. Doch weltweit gebe es viel zu wenig Recherchen, sagt Elliot Higgins – mal fehlt der Wille, oft fehlt das Geld.

Interessant in diesen und vielen andern Fällen: Die Dementis der Täter waren jeweils weder überzeugend noch stringent, vielmehr überaus plump. Higgins: «Oft verbreiteten sie eine Flut an widersprüchlichen Behauptungen. So sorgten sie für Informationschaos. Und fanden Widerhall bei den vielen, die ihnen glauben wollten.» 

Millionen glauben Putin & Co

Staatliche Propaganda hat derzeit angesichts der aktuellen geopolitischen Gemengelage ohnehin einen fruchtbaren Nährboden. Sie stösst zudem auf eine hohe Empfänglichkeit bei Millionen.

Freiheitliche Gesellschaften gehen viel zu sorglos mit der Desinformation um und unternehmen viel zu wenig dagegen.
Autor: Eliot Higgins Gründer des Recherchenetzwerks Bellingcat

Ob es um Russland geht, um Covid, ums Impfen, um Migranten: Überall gebe es Heerscharen von Leuten, die sich selber als die wahren Wahrheitssucher sehen und nicht etwa die traditionellen Medien. Und die letztere verachteten, weil sie ihren Ansichten widersprächen. 

Bellingcat in in den Sozialen Medien:

Auch oder gerade mit Faktenchecks liessen sich solche Menschen unmöglich überzeugen. «Wir leben heute in einem Zeitalter der Desinformation. Gerade freiheitliche Gesellschaften gehen damit viel zu sorglos um, unternehmen viel zu wenig dagegen», so Higgins.

Drei Männer bei einer Bellingcat-Pressekonferenz mit Laptops.
Legende: Eliot Higgins (mitte) und zwei Mitstreiter präsentieren 2018 ihr Ergebnis über die Urheberschaft des Abschusses von MH17 im Jahr 2014 über der Ostukraine – es war eine russische Flugabwehrrakete. Keystone/Remko De Waal

Professionell ausgewählte, seriös aufbereitete und geprüfte Informationen erreichten einen schwindenden Teil der Bevölkerung. Jüngere Leute bezögen ihr Weltbild gar ausschliesslich aus den Sozialen Medien.

Leicht beeinflussbare Menschen

Higgins: «Entscheidend ist nicht länger eine kuratierte Informationsauswahl oder ob etwas wahr oder unwahr ist. Entscheidend ist, was das persönliche Umfeld, der Freundeskreis für wahr und relevant hält.»

Die Sozialen Medien sind der Lebensraum der Kinder. Sie sind ihre Wirklichkeit.
Autor: Eliot Higgins Gründer des Recherchenetzwerks Bellingcat

Der Belllingcat-Gründer hat deshalb grundsätzlich Sympathien dafür, Kinder, auch seine eigenen, von den Sozialen Medien fernzuhalten. Doch er weiss auch: «Die Sozialen Medien sind ihr Lebensraum, sind ihre Wirklichkeit. Und das können wir ihnen, trotz aller Gefahren, unmöglich wegnehmen.»

Deshalb: «Schulen probieren es immer noch mit klassischer Medienbildung. Das ist überholt. Jugendliche haben gar nichts mehr zu tun mit klassischen Medien. Es bringt daher wenig, sie etwa Zeitungsschlagzeilen analysieren zu lassen.»

Vielmehr müsse es gelingen, in den Kindern selber den Wunsch zu wecken, sich verantwortungsbewusst, also basierend auf Fakten, am demokratischen Prozess zu beteiligen.

Der Ansatz leuchtet ein. Doch der Trend weist noch klar in die Gegenrichtung. Und das Ziel ist fern.

Echo der Zeit, 28.11.2024, 18:00 Uhr;stal

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