Die Europäische Union stellt 150 Milliarden Euro für günstige Rüstungskredite zur Verfügung – das Programm «Safe». Dabei machen nicht nur zahlreiche EU-Länder mit, sondern auch Kanada. Die Hintergründe kennt der Verteidigungsexperte Emil Archambault.
SRF News: Wieso macht Kanada bei dem Programm mit?
Emil Archambault: Kanada braucht neue Fähigkeiten in fast allen Bereichen der Verteidigung. Bislang stützte man sich auf die USA – etwa bei der Luftverteidigung oder mit F-35-Kampfjets.
Kanada kann nicht mehr überall mit den USA rechnen.
Jetzt aber muss Kanada eine neue Basis finden, um national und mit neuen Partnern die Verteidigungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Kanada muss in vielen Bereichen mit den USA zusammenarbeiten, kann aber nicht mehr überall mit den USA rechnen.
Welche Bedeutung hat die Teilnahme am EU-Programm für Kanadas Rüstungsindustrie?
Kanada hat eine sehr erfolgreiche Verteidigungs- und Rüstungsindustrie. Manche Produktionsstätten sind Ableger von US-amerikanischen oder europäischen Unternehmen. All diese Firmen wollen stärkere Partnerschaften mit Europa entwickeln. Deshalb ist es für sie attraktiv, wenn Kanada bei «Safe» mitmacht.
Wie militärisch unabhängig von den USA kann Kanada denn überhaupt werden?
In manchen Bereichen ist Kanada auf die USA angewiesen. So hat das Land etwa 16 Kampfjets des Typs F-35 bestellt. Doch jetzt überlegt man, ob man weitere Flugzeuge andernorts kaufen soll – etwa Saab Gripen in Schweden. Kanada ist Teil von Norad, dem nordamerikanischen Luftverteidigungskommando, und muss dort aus geografischen Gründen Mitglied bleiben.
Kanada sieht sich als Teil der Verteidigung Europas.
Doch es ist für Ottawa auch wichtig, mit Europa zusammenzuarbeiten. Beispielsweise sind schon kanadische Soldaten in Litauen stationiert, und Kanada unterstützt auch die Ukraine stark. Und seit Juni besteht eine Verteidigungspartnerschaft mit der EU. Kanada sieht sich also als Teil der Verteidigung Europas, deshalb macht es bei «Safe» mit.
Was kann Kanada der EU bieten, wenn es bei «Safe» dabei ist?
Kanada hat etliche Rüstungsfirmen, die für Europa interessant sind. So arbeitet etwa Bombardier bereits mit der schwedischen Saab zusammen, um Aufklärungsflugzeuge zu entwickeln. Und erst letzte Woche hat Lockheed Martin Kanada ein neues Marine-Kampfsystem an Deutschland verkauft.
Bei den Panzern hat Kanada grosse Lücken – deshalb braucht Ottawa Europa.
Die kanadische Industrie ist in manchen Bereichen also sehr stark. Es gibt aber andere Bereiche, in denen die kanadische Rüstungsindustrie grosse Lücken hat – etwa bei den Kampfpanzern. Auch deshalb braucht Ottawa Europa.
Ist der Schulterschluss zwischen Kanada und der EU auch symbolisch wichtig gegenüber den USA?
Man hofft natürlich auf beiden Seiten des Atlantiks, dass man bei der Rüstung und Verteidigung künftig nicht ohne die USA auskommen muss. Die USA sollen weiterhin ein Sicherheitspartner bleiben. Aber es gibt derzeit viele Unsicherheiten, und man muss bereit sein, so viel wie möglich selbst oder mit sicheren Partnern zu machen – zum Beispiel in der Ukraine.
Das Gespräch führte Marc Allemann.