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Guterres' Neujahrsbotschaft Die Welt steht in Flammen – die UNO ist ohnmächtig

Das neue Jahr habe nicht gut begonnen, sagt UNO-Generalsekretär António Guterres. Es präsentiere sich vielmehr eine Welt in Aufruhr. Wir lebten in einer gefährlichen Welt. So hoch wie zur Stunde seien die geopolitischen Spannungen in diesem Jahrhundert noch nie gewesen.

Immer mehr Regierungen träfen unvorhersehbare Entscheidungen mit unvorhersehbaren Konsequenzen. Das Risiko von Fehlkalkulationen sei enorm, findet der UNO-Generalsekretär, und kritisiert zwar nicht ausdrücklich, jedoch unmissverständlich die Tötung eines iranischen Generals durch die USA, aber auch iranische Provokationen.

«Unser Planet steht in Flammen» – Guterres meint damit zwar auch die Feuersbrünste in Australien, aber ebenso den Klimawandel generell, die atomare Wiederaufrüstung und ganz generell die von Spannungen und Konfrontationen geprägte politische und wirtschaftliche Lage rund um den Globus. Die Menschen seien zornig und verstört. So könne es nicht weitergehen.

UNO-Beobachter kritisiert unkonkrete Aussagen

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Auch der UNO-Berichterstatter Andreas Zumach stellt fest, dass in Guterres’ Rede Präzisierungen, wer mit den Anspielungen gemeint ist, fehlen. Der UNO-Generalsekretär sage auch nicht konkret, dass die Ermordung eines Generals in einem Drittstaat ein Verstoss gegen das Völkerrecht ist, und dass die von Präsident Donald Trump inzwischen verbreitete Drohung, kulturelle Stätten im Iran zu zerstören, ein Kriegsverbrechen wäre, bemängelt der Beobachter.

Zumach befürchtet deshalb, dass der Aufruf weder in den USA noch in Teheran richtig ernstgenommen werde. Die UNO und Guterres stünden massiv unter («Erpressungs-») Druck, weil der netto beste Zahler – die USA– ihren Beitrag noch nicht bezahlt hätten. Trotz dieses Hintergrunds sei die Rede deutlicher ausgefallen als frühere. Das führt Zumach explizit darauf zurück, dass die geopolitische Lage so angespannt sei, «wie es in den letzten dreissig Jahren seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr».

Als nächsten Schritt könnte nun die UNO-Generalversammlung eine Resolution verabschieden, in der sie die Ermordung des iranischen Generals und auch Verletzungen des Völkerrechts des Irans verurteilt, sagt der UNO-Korrespondent. Denn es genüge nicht, nur zur Deeskalation aufzurufen, sondern Guterres solle auch die Schritte dazu benennen, indem er die USA auffordere, zum Atomabkommen zurückzukehren und Iran ermahne, sich weiter daran zu halten.

«Unabhängig davon ist der UNO-Sicherheitsrat von Irak aufgefordert worden, sich mit dem Vorfall zu beschäftigen und eine klare Stellungnahme abzugeben», so Zumach. Zusätzlich könnte der Generalsekretär eine Untersuchung anordnen und von den USA die Beweise verlangen, die sie offenbar haben, um zu belegen, dass Soleimani plante, US-amerikanische Ziele anzugreifen.

Alarmglocken läuten

Guterres' Botschaft ist klar: Die Eskalation müsse gestoppt werden. Es brauche eine Rückkehr zum Dialog. Und unbedingt eine Wiederbelebung der internationalen Zusammenarbeit.

Die unangekündigte und unerwartete Neujahrsbotschaft des UNO-Chefs ist ein Notschrei – und zugleich ein Eingeständnis der Ohnmacht und Verzweiflung der Vereinten Nationen und damit der gesamten Völkergemeinschaft. Soweit von einer Gemeinschaft überhaupt noch die Rede sein kann.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

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