Zuhause eingesperrt mit einem gewalttätigen Partner oder Vater – das war während der Corona-Pandemie für viele Frauen und Mädchen Alltag. Studien und Statistiken belegen, dass häusliche Gewalt in dieser Zeit in vielen Ländern zugenommen hat.
Einer polnischen Gymnasiastin in Warschau hat das keine Ruhe gelassen. «Rumianki i Bratki» – «Kamille und Stiefmütterchen» – heisst die Facebook-Seite der 18-jährigen Kryszia Paszko. Im Angebot hat sie Sonnencreme mit Schutzfaktor 50 oder eine Arnika-Salbe gegen Schürfungen. Zu kaufen gibt es diese Produkte allerdings nicht – aber man kann im Chat Fragen stellen.
Kluge Tarnung
Viele Opfer häuslicher Gewalt werden während der Pandemie von ihren Peinigern so eng überwacht, dass sie kaum eine Möglichkeit haben, nach Hilfe zu rufen, erklärt Paszko ihre Idee. «Wenn diese Frauen vorgeben können, online Kosmetik zu kaufen, kann das ein Ausweg sein.»
Wenn diese Frauen vorgeben können, online Kosmetik zu kaufen, kann das ein Ausweg sein.
So war es auch einer der ersten Frauen ergangen, die sich bei «Rumianki i Bratki» gemeldet hat. Sie konnte ihren Hilferuf nur absetzen, während sie ihr Kind badete. «Sie bat um Hilfe und wir haben für sie die Polizei gerufen», berichtet Paszko. Die Beamten hätten dem Mann den Wohnungsschlüssel abgenommen und seither lebe die Frau ohne häusliche Gewalt.
«Brauchen sie auch Kosmetik für die Kinder?»
25 Psychologen und 15 Anwältinnen, alles Freiwillige, versuchen Frauen wie dieser Mutter zu helfen – notfalls auch mit codierten Fragen. Fragen wie «Brauchen sie auch Kosmetik für die Kinder?» oder «Wie reagiert ihre Haut auf Alkohol?»
Über 500 Frauen haben sich in den letzten 13 Monaten bei «Rumianki i Bratki» gemeldet. Der Ansturm habe sie am Anfang überrumpelt, sagt Paszko. Dass es ihr Hilfsangebot noch gebe, sei nur dank der Zusammenarbeit mit der grössten polnischen Organisation für Frauenrechte möglich geworden.
Kritik an untätiger Regierung
Paszko ist stolz auf ihr Projekt. Für ihr Engagement hat sie von der Europäischen Union einen Preis bekommen, Medien von der polnischen «Vogue» bis zur grössten Tageszeitung des Landes haben über sie berichtet. Aber die junge Warschauerin ist auch verärgert. Die Regierung kümmere sich kaum um die Opfer häuslicher Gewalt.
Die rechtskonservative Regierung Polens interessiere sich kaum für Frauenrechte, sagt die angehende Jus-Studentin. Und wenn, dann wolle sie die Rechte der Frauen beschneiden. Das zeige sich zum Beispiel beim Vorhaben der Regierung, die Istanbul-Konvention zu kündigen, diesen internationalen Vertrag zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt.