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Hilfe für die Ukraine Selenski fordert, was Israel bekam

Israel parierte den iranischen Grossangriff aus der Luft – und zwar mithilfe der USA, Grossbritanniens, Frankreichs, Jordaniens und möglicherweise Saudi-Arabiens. Genau solche Hilfe fordert nun der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski für sein Land gegen die russischen Luftangriffe. Das ist legitim. Doch passieren wird es nicht. Selenskis Forderung drückt vor allem Verzweiflung aus.

Ein berechtigter Wunsch

Die ganze Welt sehe, was sich erreichen lasse, wenn man einem Feind geeint die Stirn biete. So argumentiert der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski in einer Videoansprache und in sozialen Medien – und fordert nun ein gemeinsames Vorgehen westlicher Militärmächte gegen die russischen Angriffe.

Der Wunsch ist umso plausibler, als die Russen die Ukraine zumindest teilweise mit den gleichen Shahed-Drohnen angreifen, wie sie der Iran gegen Israel einsetzte.

Ukraine und Israel – leider nicht zu vergleichen

Selenskis Begehren ist völkerrechtskonform. Die Ukraine ist das Opfer, Russland der Täter. Kiew darf Unterstützung anfordern gegen Moskau.

Ganz anders steht es um die Machbarkeit und um den politischen Willen – oder in diesem Fall eher Unwillen. Im Fall Israel zeichnete sich rasch ab, dass der iranische Angriff, zumindest einstweilen, eine einmalige Aktion darstellte. Die russischen Luftangriffe gegen die Ukraine hingegen erfolgen Tag für Tag und Nacht für Nacht. Solange der Krieg andauert, hören sie nicht auf. Die USA und andere Nato-Staaten müssten sich also dauerhaft verpflichten, der ukrainischen Luftabwehr direkt militärisch beizustehen.

Genau das vermeiden sie peinlichst seit mehr als zwei Jahren. Genauso alt ist nämlich das Ersuchen der Ukraine, die Nato möge ihren Luftraum sichern. Der Grund ist die durchaus plausible Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Und das Wissen, welches Ausmass an Waffen, Munition und damit Geldmitteln eine solche direkte Kriegsbeteiligung erfordern würde.

Echte Sorge des ukrainischen Präsidenten

Es geht Selenski indes nicht primär darum, westliche Doppelmoral anzuprangern. Seine Forderung gründet in echter, tiefer Besorgnis. Was im Westen derzeit gern ausgeblendet wird: Der Ukraine steht das Wasser zum Hals. Ein Dammbruch in der ukrainischen Front wird immer wahrscheinlicher.

Bald dürfte es nicht länger bloss um Verluste von ein paar Quadratkilometern gehen. Selbst ein russischer Vormarsch in die Metropole Charkiw oder die Hafenstadt Odessa ist nicht länger auszuschliessen. Der Ukraine fehlt es an allem. Neben Luftabwehrmitteln ganz generell an Waffen und an Soldaten. Russland hat von allem genug und gewinnt so rasch die Oberhand.

Hilfspakete lassen auf sich warten

Wohingegen ein Sechzig-Milliarden-Hilfspaket für die Ukraine entweder im US-Parlament blockiert ist – seit einem halben Jahr – oder noch lange auf sich warten lässt wie die angekündigte Hundert-Milliarden-Unterstützung der Nato. Dann ist es vermutlich zu spät.

Auf sich allein gestellt, beziehungsweise mit den Mitteln, die sie heute hat, schafft es die Ukraine nicht. Das weiss Selenski und fordert mehr. Das weiss man auch im Westen und hält sich trotzdem zurück. Und blendet dabei gerne aus, was es für den Rest Europas hiesse, wenn das Kreml-Regime in der Ukraine siegt.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Echo der Zeit, 16.04.2023, 18:00 Uhr

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