Aus den Schlagzeilen sind die Proteste in Iran weitgehend verschwunden. Doch sie gehen weiter – und auch die Todesurteile. ARD-Korrespondentin Karin Senz in Istanbul weiss, welche Gründe das iranische Regime für ein Todesurteil ins Feld führt.
SRF News: Welche Personen werden wegen der Proteste zum Tod verurteilt?
Karin Senz: Es sind überwiegend junge Männer – doch das UNO-Büro in Genf hat erst diese Woche bekannt gegeben, dass angeblich auch eine Frau auf dieser Todesliste stehen soll. Nach meinen Informationen kann das nur Sonja Sharifi sein, eine 16- oder 17-Jährige, die wohl Mitte November festgenommen wurde. Mitte Dezember kam dann das Urteil, kurz darauf wurde sie laut Menschenrechtsorganisationen freigelassen. Offiziell ist dieses Todesurteil nicht bestätigt worden.
Möglicherweise würde es einen grösseren Aufschrei geben, wenn auch Frauen hingerichtet würden.
In Iran werden nur in Ausnahmefällen auch unter-18-Jährige hingerichtet – etwa, wenn man sie zu einer Terrororganisation zählt. Frauen, die auf Demos verhaftet werden, bekommen meist aber Haftstrafen. Zuletzt beispielsweise die Tochter des früheren Präsidenten Rafsandschani. Sie wurde zu fünf Jahren verurteilt. Oder wir haben den Fall einer Frau eines Arztes: Sie wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt. Ihr Mann erhielt die Todesstrafe.
Was sind die Gründe für die unterschiedlichen Strafen?
Über die Gründe für die unterschiedlichen Strafen für Männer und Frauen kann man nur spekulieren. Möglicherweise glaubt das Regime, dass die Frauen an den gewaltsamen Protesten nicht beteiligt seien, weil es durchaus Gewalt gibt aufseiten der Demonstrierenden. Möglicherweise würde es einen grösseren Aufschrei geben, wenn auch Frauen hingerichtet würden. Das wäre aus Sicht des Regimes kontraproduktiv, weil dann möglicherweise noch mehr Menschen auf die Strasse gehen würden.
Was wird diesen Demonstrierenden konkret vorgeworfen?
Auf einer höheren Ebene geht es immer um den Vorwurf, dass sie Krieg gegen Gott geführt hätten. Im Endeffekt sind sie aber gegen das Regime und gegen den Obersten Führer Chamenei auf die Strasse gegangen. Aus einem solchen Urteil könnte man schliessen, dass Chamenei sich für Gott hält. Zumindest wirft ihm das ein sunnitischer Geistlicher in einer Provinz im Südosten vor.
Aus einem solchen Urteil könnte man schliessen, dass Chamenei sich für Gott hält.
Dieser sagt: Ein Herrscher ist nicht Gott, und er muss darauf hören, was die Menschen ihm sagen. Doch davon ist dieses Regime im Moment noch weit entfernt. Konkret geht es beispielsweise in einem Todesurteil um den Angriff auf ein Mitglied der Basidsch, einer paramilitärischen Einheit, die bei den Demonstrationen zum Einsatz kommt. Es soll ein 27-Jähriger erstochen worden sein.
Das Regime will mit dem harten Vorgehen die Protestbewegung brechen. Gelingt das?
Wir haben bisher kein Blutbad auf den Strassen erlebt wie bei früheren Protesten, 2019 oder 2009. Offensichtlich setzt das Regime mehr darauf, durch diese Hinrichtungen zu schocken. Aber man darf nicht vergessen: Das Mullah-Regime kämpft ums Überleben. Und das ist wohl wirklich einer der wichtigsten Punkte.
Es wird, in welcher Form auch immer, versuchen, sich diese Macht weiterhin zu sichern. Wir erleben auch, dass Todesurteile ausgesetzt wurden, auch wurden schon Gefangene wieder freigelassen. Sie sollen möglicherweise in der Community von ihren Erfahrungen berichten, um abzuschrecken.
Das Gespräch führte Claudia Weber.