In Afghanistan findet zurzeit eine Loja Jirga statt, eine Versammlung von Delegierten der vielen Stämme. In diesen Zusammenkünften werden Entscheide nur im Konsens gefällt und die Treffen dauern so lange, bis sich alle einig sind. Was das Ziel der Versammlung ist und wieso einige politische Führer ihr fernbleiben, erklärt Afghanistan-Spezialist Thomas Ruttig.
SRF News: Was ist das Ziel dieser Versammlung?
Thomas Ruttig: Eine Loja Jirga ist ein traditionelles Instrument zur Konsensbildung in Afghanistan. Sie wird an besonders einschneidenden Punkten der Geschichte einberufen. Im Moment geht es um die Friedensverhandlungen mit den Taliban. Präsident Ashraf Ghani möchte, dass die 3200 Delegierten einen Konsens verabschieden, auf dessen Grundlage die Regierung dann an Friedensverhandlungen mit den Taliban und den USA teilnehmen soll.
Einige Politiker haben ihre Teilnahme an dieser Versammlung bereits abgesagt. Warum?
Natürlich wäre es im Interesse aller Menschen in Afghanistan, Friedensverhandlungen auf den Weg zu bringen. Aber das ist auch eine Machtfrage.
Es stimmt schon, dass Wahlen in Afghanistan nicht sehr aussagekräftig sind, weil sie immer stark manipuliert worden sind.
Die Taliban sind militärisch auf dem Vormarsch. Sie anerkennen die afghanische Regierung nicht und bezeichnen sie als Marionette der USA, die niemanden wirklich vertrete. Es stimmt schon, dass Wahlen in Afghanistan nicht sehr aussagekräftig sind, weil sie immer stark manipuliert worden sind.
Kann die Loja Jirga unter diesen Vorzeichen überhaupt Erfolg haben?
Nur bedingt, würde ich sagen. In der afghanischen Gesellschaft besteht der Konsens, dass der Krieg, der schon 40 Jahre dauert, beendet werden muss. Die Frage ist nur, wie Afghanistan hinterher politisch gestaltet wird und wer das Land nachher regiert.
Im September wird ein neuer Präsident gewählt. Viele ehemalige Verbündete von Ghani haben sich abgewandt und boykottieren diese Loja Jirga. Das heisst nicht, dass sie nicht an Frieden interessiert sind, aber sie sehen die Versammlung als Versuch Ghanis, seine Position für die Wahlen zu stärken. Gleichzeitig ist aber die übergrosse Mehrheit der afghanischen Bevölkerung dafür, Gespräche mit den Taliban zu führen und Friedensverhandlungen einzuleiten.
Viele frühere Warlords, die der afghanischen Regierung nahestehen, sind auch nicht als Verteidiger der Rechte der Frauen bekannt.
Die Taliban weigern sich, mit der Regierung zu verhandeln. Unter welchen Bedingungen wären sie für Gespräche bereit?
Das Prinzip ist – wie die US-Amerikaner betonen, die Taliban allerdings nicht –, dass nichts vereinbart ist, solange nicht alles zu den vier Punkten (siehe Kasten) vereinbart ist. Kurz gesagt heisst das, dass die Amerikaner als Vorbedingung für einen Friedensschluss fordern, dass die afghanische Regierung Teil dieser Vereinbarung wird.
Vor dieser Loja Jirga befürchteten viele Frauen, bei Verhandlungen mit den Taliban ihre in der afghanischen Verfassung verbrieften Rechte wieder zu verlieren. Zu Recht?
Ja, zu Recht, allerdings liegt das nicht nur an den Taliban, die nicht Verfechter der Frauenrechte sind. Viele frühere Warlords, die in der afghanischen Regierung sind oder der afghanischen Regierung nahestehen, sind auch nicht als Verteidiger der Rechte der Frauen bekannt. Die Befürchtungen der Frauen sind bei auch ihren eigenen Vertretern gerechtfertigt.
Können Verhandlungen in Afghanistan nur erfolgreich sein, wenn sie möglichst breit abgestützt sind?
Ja. Man kann Friedensverhandlungen nicht ohne die afghanische Regierung erfolgreich führen. Die Gespräche zwischen den Amerikanern und den Taliban können einen Türöffner darstellen, aber nicht einen Abschluss dafür schaffen.
Das Gespräch führte Janis Fahrländer.