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Illegale Referenden Russlands «Die Ukrainer haben Angst, dass sie gegen Freunde kämpfen müssen»

Der russische Präsident Wladimir Putin hat angekündigt, die von Russland besetzten Gebiete in der Ukraine sowie die Gebiete, die von Separatisten geführt werden, über die Zugehörigkeit zu Russland abstimmen zu lassen. SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky hat in Erfahrung gebracht, was die Menschen davon halten.

Luzia Tschirky

Russland-Korrespondentin

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Luzia Tschirky ist SRF-Korrespondentin für die Region Russland und die ehemalige UdSSR.

SRF News: Was sagt die ukrainische Bevölkerung zu den Referendumsplänen Russlands in den besetzten Gebieten?

Luzia Tschirky: Bei sehr vielen Ukrainerinnen und Ukrainern lösen diese Referenden schlechte Erinnerungen an das Jahr 2014 aus. In diesem Jahr wurde auf der Krim nämlich bereits ein solches Scheinreferendum durchgeführt. Die Menschen wurden gefragt, ob sie Teil der Russischen Föderation werden möchten. Das Jahr 2014 war der Beginn des Krieges in der Ukraine, wie wir ihn heute erleben.

Es ist klar, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat dies auch wiederholt: Von ukrainischer Seite aus werden die Resultate dieser Scheinreferenden unter keinen Umständen anerkannt. Es handelt sich dabei um Gebiete der Ukraine. Gemäss der ukrainischen Verfassung ist es nicht möglich, ein solches Referendum durchzuführen.

Eine Gruppe Soldaten begibt sich zu einem Treffpunkt
Legende: Putin könnte nach den Referenden in den von Russland besetzten Gebieten auch Ukrainer in den Krieg gegen die Ukraine schicken. REUTERS/Vitaly Nevar/File Photo

Putin hat angekündigt, er werde mit allen Waffen reagieren, wenn Russland angegriffen werde. Wie gross ist die Sorge der ukrainischen Bevölkerung, dass diese Pseudoreferenden zu einer weiteren Kriegseskalation führen?

Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die in den von Russland kontrollierten Gebieten leben, machen sich Sorgen, dass sie bei einer Annahme dieser Pseudoreferenden auf dem Papier in den Krieg gegen die Ukraine eingezogen werden könnten.

Präsident Putin hat gestern nicht nur diese Scheinreferenden angekündigt, sondern auch die Wehrpflicht für russische Männer. Wenn diese Gebiete zu Russland gehören sollten, dann würde für diese Männer auch Wehrpflicht gelten. Das würde bedeuten, dass sie unter Umständen gegen Brüder, Väter, Bekannte und Freunde an der Front kämpfen müssten. Davor haben viele Männer Angst.

Die Ukraine stellt jede Beteiligung an diesen sogenannten Referenden unter Strafe. Inwiefern können die drohenden Strafen etwas bewirken?

Ich denke, in erster Linie werden die Menschen, die pro-ukrainisch eingestellt sind, nicht an diesen Abstimmungen teilnehmen, sondern nach Möglichkeit versuchen, zu Hause zu bleiben.

Es ist davon auszugehen, dass die Resultate im Sinne Russlands sein werden.

Aber es ist für die ukrainischen Behörden ein Problem, dass sie nichts machen können, um die Durchführung dieser Referenden irgendwie zu stoppen, ausser möglichst schnell mit der ukrainischen Armee die Gebiete wieder unter Kontrolle der Ukraine zu bringen. Ansonsten bleibt der Ukraine nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass Mitte nächster Woche die Resultate verkündet werden. Es ist davon auszugehen, dass die Resultate im Sinne Russlands sein werden.

Wie werden sich die Scheinreferenden auf die Ukraine auswirken?

Je mehr diese Besatzung formalisiert wird, desto schwieriger wird es, diese Region und die Menschen, wieder vollständig in die Ukraine zu integrieren. Es besteht die Gefahr, dass die Menschen, die gezwungen werden, den Russen zu helfen, später dafür bestraft werden könnten, wenn diese Gebiete wieder zur Ukraine gehören. Es stellt sich dann die Frage, inwiefern das die ukrainische Gesellschaft spalten könnte.

Das Gespräch führte Daniela Püntener.

SRF 4 News, 22.09.2022, 07:52 Uhr ; 

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