Fast ein bisschen übermütig wirkte die Zehner-Gruppe gestern vor dem Weissen Haus. Die Demokratin Kyrsten Sinema, Trägerin einer Beinprothese, stützte sich auf den Arm des Republikaners Rob Portman und verkündete, es sei ein historisches Infrastruktur-Paket, und sie hätten bewiesen, der US-Kongress funktioniere noch.
Alle Beteiligten sangen gestern das Hohelied auf die neu gefundene Kompromissfähigkeit und freuten sich, als ob das Gesetz schon geschrieben wäre.
Widerstand vorprogrammiert
Allerdings: Es ist noch etwas früh, um zu feiern, denn der Vorschlag geht nun in den Kongress. Und dort ist der Widerstand vorprogrammiert. Rechts ist der Wille, Geld in den öffentlichen Bereich zu stecken, aus ideologischen Gründen gering. Und links hält man den Kompromiss für zu wenig sozial und zu wenig grün.
Und dennoch stehen die Zeichen gut, dass es diesmal klappen könnte. Präsident Joe Biden weiss, wie man die Egos auf dem Kongresshügel massiert. Der gestrige Kompromiss kam nicht aus dem Nichts. Er folgte auf monatelange Dialoge zwischen dem Weissen Haus und den einzelnen Senatorinnen und Senatoren. Weder die Trump-Regierung noch die Obama-Regierung hatten den Willen oder die Geduld zu dieser Lobbying-Knochenarbeit.
Infrastruktur-Paket dringend benötigt
Und die Infrastruktur ist ein Thema, das Abgeordneten aus allen Gegenden der USA unter den Nägeln brennt. In Massachusetts sind die Autobahnen am Bröckeln, in New York und New Jersey stellen die Tunnel ein Sicherheitsrisiko dar, West Virginia hat kaum Internet, und Louisiana und Florida brauchen Dämme, um sich vor Stürmen und einem erhöhten Wasserspiegel zu schützen. Das Infrastruktur-Paket bietet allen etwas, das sie dringend brauchen.
Die Republikaner und Republikanerinnen sind noch aus einem anderen Grund motiviert, ihre Scheu vor Investitionen in den öffentlichen Bereich zu überwinden. Viele sind überzeugt, dass Präsident Trump die Wiederwahl geschafft hätte, wenn er wie versprochen, die Infrastruktur saniert hätte und etwas geschickter mit der Covid-Krise umgegangen wäre. Die Infrastruktur bröckelt in den Swing States im Mittleren Westen – und das Thema zu ignorieren, hat einen politischen Preis, so die Lehre aus den Trump-Jahren.
Teilweise Finanzierung aus Covid-Topf
Und last but not least gibt es einen Konsens, wie man die Infrastruktur-Investitionen finanzieren will. Es hilft, dass hunderte von Milliarden gesprochene Covid-Dollar nicht abgeholt wurden – rund 125 Milliarden sollen aus diesem Topf kommen, laut Senator Rob Portman. Zudem sollen Steuerlöcher gestopft werden, und die Privatwirtschaft soll bei Private-Public Projekten mitziehen. Auch wenn das über den Daumen gepeilt ist, das Finanzierungsprinzip lautet: keine Steuererhöhungen und keine neuen Schulden.
Eines ist klar: Es sind die Stimmen der Republikaner und Republikanerinnen, die die Zehner-Gruppe und das Weisse Haus holen will, um das Infrastruktur-Paket zu schnüren. Die linken Demokratinnen und Demokraten schreien schon Verrat, aber ob sie sich es leisten können, dieses historische Gesetzesprojekt platzen zu lassen, ist fraglich. Die Arithmetik im Kongress könnte diesmal aufgehen und vielleicht flicken die USA bald ihre Infrastruktur und bauen sie aus, wie seit den 1950er-Jahren nicht mehr.