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Instrumente der Politik? Schwere Zeiten für die Menschenrechte

Human Rights Watch beobachtet immer stärkeren Druck auf die aus unserer Sicht universellen Rechte – nicht nur von autoritären Regimen.

Gleich mehrere globale Trends setzten die Menschenrechte im letzten Jahr unter Druck, wie Tirana Hassan feststellt. Sie ist Direktorin der Nichtregierungs-Organisation Human Rights Watch (HRW). Es sei auffällig, wie viele Staaten bei den Menschenrechten Doppelstandards anwenden würden.

Es wird die Botschaft ausgesandt, dass die Würde mancher Menschen mehr zählt als jene von anderen.
Autor: Tirana Hassan Direktorin von Human Rights Watch

Menschenrechtsverletzungen würden nur dann verurteilt, wenn es in die eigene Agenda passt. Sind eigene Interessen oder jene befreundeter Staaten betroffen, würden jedoch die Augen verschlossen. «So wird die Botschaft ausgesandt, dass die Würde mancher Menschen mehr zählt als jene von anderen», sagt Hassan am WEF in Davos.

Zwei unvereinbare Sichtweisen auf einen Konflikt

Als aktuelles Beispiel nennt sie den Krieg im Gazastreifen. Westliche Staaten verurteilten die Terrorattacken der Hamas, halten sich angesichts des Leids der palästinensischen Zivilbevölkerung im Küstenstreifen jedoch zurück. Andere Staaten wiederum, vor allem solche aus dem globalen Süden, werfen Israel Kriegsverbrechen vor, verurteilen die Hamas dagegen mit keinem Wort.

Man darf keine Spitäler bombardieren, keine Zivilisten töten und man darf keine Geiseln nehmen.
Autor: Tirana Hassan Direktorin Human Rights Watch

Es existierten zwei Sichtweisen auf denselben Konflikt, die sich gegensätzlich und unversöhnlich gegenüberstehen.

Bombardiertes Gebäude, davor Menschen und ein Krankenwagen.
Legende: Ein laut ukrainischen Angaben von den Russen bombardiertes Spital in Dnipro (29.12.2023). Spitäler zu bombardieren ist ein Bruch des internationalen Rechts und womöglich ein Kriegsverbrechen. Keystone/Arsen Dzodzaiev

Dabei sei das internationale Gesetz klar, so Hassan: «Man darf keine Spitäler bombardieren, keine Zivilisten töten und man darf keine Geiseln nehmen.» Das alles verstosse gegen internationales Recht – genauso wie die Blockade elementarer Güter für die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens.

Für all das gebe es keine Entschuldigung. Und doch würden viele dieser Verbrechen nicht klar als das benannt, was sie sind: Verbrechen.

Auch der Westen ist nicht zimperlich

Vor allem dem Westen werde daher vorgeworfen, die Menschenrechte nur im eigenen Interesse anzuwenden, stellt Hassan fest. Dieses Gefühl findet vor allem im globalen Süden Anklang. Mit fatalen Folgen: «Ruchlose Akteure wie China und Russland machen sich diese selektive Empörung zunutze, um die Menschenrechte grundsätzlich zu attackieren.»

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Diese Versuche fielen umso mehr auf fruchtbaren Boden, weil es auch der Westen anderswo mit den Menschenrechten nicht so genau nehme. Ein Beispiel dafür sei die Zusammenarbeit der EU mit nordafrikanischen Autokratien für die Bekämpfung der illegalen Migration.

Wegen kurzfristiger innenpolitischer Ziele würden so nicht nur verschiedene Autokraten gestärkt, sondern es schwäche die Glaubwürdigkeit des Westens weltweit, der sich selbst oft und gerne auf die Menschenrechte berufe.

Menschenrechte als Instrumente der Geopolitik

Trotzdem sei der dadurch entstehende Eindruck, die Menschenrechte zählten nicht für alle, oder sei sogar ein Instrument westlicher Hegemonie, aber trotzdem falsch, so die Direktorin von HRW: Diese Behauptung sei ein politisches Instrument von Ländern, die so versuchten, von eigenen Verbrechen abzulenken.

Staaten wie China und Russland gehe es dabei auch um Geopolitik und darum, eine Front gegen den Westen zu bilden. Dabei seien die Menschenrechte universelle Rechte. Sie zu stärken, liege im Interessen aller.

Jede Missachtung von Menschenrechten, egal wo und durch wen, sei eine Einladung, diese Grundwerte anzugreifen. Das müsse geahndet werden, betont Hassan.

Rendez-vous, 17.1.2024, 12:30 Uhr

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