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Malcolm Turnbull mit betrübtem Gesichtsausdruck.
Legende: Turnbull darf noch auf die Briefwahlstimmen hoffen, die traditionell mehrheitlich an die Konservativen gingen. Keystone

International «Der australische Premier hat seine Seele verkauft»

Wer die Parlamentswahlen in Australien gewonnen hat, ist noch offen, Konservative und Labor liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Der grosse Verlierer steht aber schon fest: Premier Malcolm Turnbull, der die Wähler offenbar enttäuscht hat. SRF-Korrespondent Urs Wälterlin erklärt die Hintergründe.

In Australien gingen gestern 16 Millionen Wähler an die Urnen, um das Parlament in Canberra neu zu wählen. Seither wartet Australien auf das Endresultat – die Konservativen und die Labor-Partei liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Es könnte Wochen dauern bis das Resultat feststeht. Einschätzungen von Australien-Korrespondent Urs Wälterlin:

SRF News: Was macht die Auszählung der Wahlzettel so kompliziert?

Urs Wälterlin

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Der gebürtige Basler Urs Wälterlin lebt seit 1992 in der Nähe der australischen Hauptstadt Canberra. Er berichtet von dort für SRF über Australien, Neuseeland und Ozeanien.

Urs Wälterlin: Das Wahlsystem ist sehr komplex, Stimmzettel müssen oft mehrfach in die Hand genommen und ausgewertet werden. Es fehlen noch so viele brieflich abgegebene Stimmen wie noch nie. In einigen Wahlkreisen sind die Resultate derart knapp, dass sie nachgezählt werden müssen. Hinzu kommt noch: Heute ist Sonntag und damit Ruhetag, da wird eigentlich nicht gezählt.

Es zeichnen sich ja eher überraschende Gewinne der Labor-Partei ab, darum das Kopf-an-Kopf-Rennen. Womit konnte die Partei punkten?

Es war wohl eher eine Frustration mit den Konservativen, die in die Hände von Labor gespielt hat. Für eher progressivere Wähler war Malcolm Turnbull doch nicht so liberal, wie er sich lange gegeben hatte. Am politischen Programm kann es nicht gelegen haben. Er versprach in erster Linie Arbeitsplätze sowie ein solides Wachstum der Wirtschaft, also ein Grundpfeiler der Liberalen seiner Partei. Ein Plan zur Senkung der Steuern für Unternehmen entwickelte sich allerdings zu einem Querschläger. Es wurde bekannt, dass vor allem globale Grossunternehmen in den Genuss kommen können.

In den letzten Tagen der Kampagne hat den Konservativen sicher auch die Behauptung von Labor geschadet, sie hätten einen «geheimen Plan» zur Abschaffung des staatlichen Gesundheitssystems Medicare – das wurde aber von Turnbull klipp und klar verneint.

Hat sich Premierminister Turnbull also verspekuliert, als er gleich in beiden Kammern Neuwahlen anordnete?

Wahrscheinlich. Aber er hatte wohl auch einfach genug vom doch spürbaren Druck des konservativen und auch christlichen Flügels seiner Partei. Turnbull hat in den letzten Monaten als Premierminister seine Seele verkauft. Aus einem sehr weltoffenen und liberalen Mann wurde ein sehr konservativer Premierminister – und zwar, weil er eine Abmachung mit dem rechten Flügel seiner Partei getroffen hat, damit sie ihn in Ruhe lassen. Ein gutes Resultat hätte Turnbull Glaubwürdigkeit gegeben, die «Fesseln» der konservativen Kräfte gelockert.

Für viele Konservative in seiner Partei stand Turnbull schon lange auf der Abschussliste. Mit diesem Wahlresultat haben sie nun wirklich potente Munition gegen ihn.

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Heute gab es unter den Konservativen bereits Rufe nach seinem Rücktritt. Das wird in den nächsten Wochen noch zunehmen. Für viele Konservative in seiner Partei stand Turnbull schon lange auf der Abschussliste. Mit diesem Wahlresultat haben sie nun wirklich potente Munition gegen ihn.

Immer mehr Wähler in Australien misstrauen den grossen Volksparteien. Wie stark sind die Splitterparteien wie beispielsweise die Grünen oder die neue Anti-Islam-Partei in diesen Wahlen?

Sie sind stark, weil sie nun noch mehr als vorher die Balance der Macht halten. Grundsätzlich ist das ja eine gute Sache und ein Zeichen von Demokratie, dass die Splitterparteien zugelegt haben, offenbar sogar recht deutlich. Es zeigt aber auch, dass ein echtes Bedürfnis besteht nach mehr Mitsprache in einem politischen System, das die beiden Grossparteien bevorzugt.

Die Politik in Australien gleicht einem Rugby-Spiel: Es gibt nur einen Gewinner und einen Verlierer. Keinen Konsens.

Es sind auch Themen wie Flüchtlingspolitik, Homo-Ehen und Anti-Islamismus, die den Wahlkampf in Australien prägen. Ist das politische Klima härter und polarisierter geworden?

In den letzten Jahren auf jeden Fall. Nicht, dass die australische Politik nicht schon immer ein bisschen hemdsärmelig war. Ich vergleiche die Politik in Australien immer mit einem Rugby-Spiel – es gibt eigentlich nur einen Gewinner und einen Verlierer. Dazwischen gibt es selten etwas. Also kein Konsens und kein Zusammensitzen.

Das Gespräch führte Isabelle Jacobi.

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