Zum Inhalt springen

International «Die Lage in Madaja ist wirklich dramatisch»

Nordwestlich der syrischen Hauptstadt Damaskus, in der belagerten Stadt Madaja, leiden ungefähr 40'000 Menschen Hunger. Gesicherte Informationen über die Situation gibt es kaum. Nun keimt aber Hoffnung: Ein Lastwagen-Konvoi der UNO mit Lebensmitteln soll demnächst hineingelassen werden.

SRF News: Was wissen Sie als Sprecherin des UNO-Welternährungsprogramms über die Versorgungslage in der syrischen Stadt Madaja?

Bettina Lüscher

Box aufklappen Box zuklappen

Die ehemalige Journalistin ist seit über zehn Jahren als Mediensprecherin für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen WFP in Genf tätig.

Bettina Lüscher: Die Lage dort ist wirklich dramatisch. Das Welternährungsprogramm der UNO hat Mitte Oktober zum letzten Mal Nahrungsmittel dorthin gebracht. Nahrungsmittel, die für 19'000 Menschen einen Monat ausreichen mussten. Seitdem ist kein Essen mehr in diese belagerte Stadt gegangen. Die Menschen sind verzweifelt. Da wir aber nicht hineinkönnen, wissen wir nicht genau, was dort passiert. Wir machen uns sehr grosse Sorgen und wir appellieren an alle Seiten, dass die humanitären Helfer Zugang bekommen. Die Stadt wird schon seit Monaten belagert, und wir machen uns natürlich am meisten Sorgen um Familien, um Frauen und Kinder, und hoffen, dass wir in den nächsten Tagen Lastwagen mit Lebensmitteln nach Madaja bringen können.

Laut neuesten Informationen erhält die UNO nun offenbar Zugang zu dem Gebiet. Was wissen Sie darüber?

Meine Kollegen – UNO-Leute, die in Syrien arbeiten – haben soeben bekanntgegeben, dass es anscheinend eine Zusage der syrischen Regierung gibt, dass Hilfe in diesen syrischen Ort hereingelassen werden soll. Wir vom Welternährungprogramm stehen natürlich schon seit längerer Zeit bereit. Wir haben Lastwagen mit Lebensmitteln und hoffen, dass sich das bewahrheitet und es dann wirklich funktioniert, so dass wir in den nächsten Tagen Nahrungsmittel und andere humanitäre Hilfe an die Menschen in Madaja liefern können.

Woran liegt es, dass Sie seit Mitte Oktober nicht mehr in das Gebiet hinein können?

Es sind immer sehr schwierige Verhandlungen. Es gab vor Ort ein Abkommen zwischen den diversen Fraktionen, wobei gesagt wurde, dass humanitäre Hilfe hineinkommen könne, aber das hat nicht geklappt. Es sind halt Geschichten, die Kriegsparteien untereinander aushandeln. Und wenn weiter gekämpft wird, können neutrale humanitäre Helfer wie wir von der UNO auch nicht dorthin. Das Problem ist, dass wir immer mit allen Seiten verhandeln, um in eine Ortschaft hineinzukommen. Uns geht es darum, Zivilisten, Familien, Frauen und Kindern zu helfen. Aber wenn natürlich die Parteien vor Ort, die sich bekämpfen, keine humanitäre Hilfe hereinlassen wollen, können wir auch nicht viel machen. Wir hoffen nun, dass in den nächsten Tagen der Zugang auch wirklich möglich wird.

Wer sträubt sich denn da aktuell gegen den Zugang der UNO zu der Stadt?

Wir verhandeln mit allen Seiten, um Zugang zu bekommen. Das ist uns am wichtigsten. Auf politischer Ebene der UNO werden natürlich auch Verhandlungen geführt . Aber wir humanitären Helfer halten uns da raus. Wir werden respektiert in der ganzen Welt als Unparteiische, und das müssen wir auch weiter so machen.

Die Bilder, die uns seit ein paar Tagen erreichen, wurden via Soziale Medien veröffentlicht. Wieso kam der Appell nicht vom World-Food-Programm?

Wir sind ja nicht in Madaja gewesen. Wir helfen über vier Millionen Menschen in Syrien. Und in vielen Orten, die oft auch monatelang belagert sind, ist die Not gross. Wir versuchen immer, mit allen Seiten zu verhandeln, um Hilfe bis in die hintersten Stellen zu bringen. Aber in so einem gewaltsamen Konflikt wird natürlich mit allen Mitteln gearbeitet. Deswegen kommt es auch immer wieder vor, dass Helfer aussen vor und nicht hereingelassen werden. Wir hoffen, dass sich das jetzt ändert.

Mehr zum Thema

Die Menschen aushungern ist ja eine bekannte Kriegsstrategie. Wenn man Bomben abwerfen kann – wieso kann man nicht auch Nahrungsmittel abwerfen?

Das kann man in manchen Gegenden machen. Da gehört aber sehr viel Vorbereitung dazu. Man kann nicht Sachen einfach aus einem Flugzeug werfen, sondern man muss das Gebiet genau abzirkeln, Leute müssen schon vorher vor Ort sein, man muss mit der Bevölkerung in den Dörfern sprechen. Es werden fussballfeldgrosse Flächen abgesichert, damit man dort etwas abwerfen kann – wir machen das zum Beispiel im Südsudan. Aber das ist in einem Kriegsgebiet in Syrien einfach keine praktikable Lösung. Wir können es nur mit Lastwagen machen.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

Meistgelesene Artikel