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International «Die Menschen sind bis auf die Unterhosen durchnässt»

Im ungarischen Hegyeshalom kurz vor der österreichischen Grenze kamen diese Woche jeden Tag tausende Flüchtlinge an. Darunter viele Kinder – krank, übermüdet, in Sommerkleidern. Eine schwierige Situation für die ankommenden Menschen sowie für die freiwilligen Helfer – auch aus der Schweiz.

Es ist ein Landstrich, der Ost und West verbindet: das Grenzgebiet zwischen dem ungarischen Hegyeshalom und dem österreichischen Nickelsdorf. Hier fuhr früher der Orient-Express, hier verbinden heute de Autobahn M1 sowie Bahnschienen die beiden Donaumetropolen Budapest und Wien. Doch von der Grandezza der legendären Bahnstrecke oder der ehemaligen kaiserlichen Städte ist dieser Ort meilenweit entfernt; hier wurde dieser Tage heisser Tee ausgeschenkt und Suppe.

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Von Hegyeshalom zur österreichischen Grenze sind es ein paar Kilometer. Nicht weit, könnte man meinen. Für die vielen Ankömmlinge jedoch, welche die Strecke vom Bahnhof zur Grenze gehen müssen, ist es ein weiterer anstrengender Abschnitt ihres Weges.

«Die Menschen sind bis auf die Unterhosen durchnässt», erzählte Anna-Tina Hess am Telefon. Die 37-Jährige war vergangene Woche mit dem zusammengewürfelten Team der freiwilligen Helfer von «Tsüri Hilft» vor Ort. Auf Facebook hatten sich vor einigen Wochen Privatpersonen aus Zürich zusammengetan, um unbürokratisch den ankommenden Flüchtlingen der Balkanroute zu helfen. Sie sammelten Kleider und Schuhe, organisierten Fahrten von Zürich nach Ungarn. «Die meisten von uns haben noch nie sowas gemacht», so Hess.

«Entweder wissen sie es nicht – oder sie geben die Information nicht weiter.»

Seither standen sie Tag und Nacht bereit, um die vorbeimarschierenden Flüchtlinge mit dem Nötigsten zu versorgen. Feste Schuhe für geschundene Füsse, Jacken für Kinder, Babymilch. Die Menschen wollen sich nicht lange aufhalten, hier verweilt niemand gerne. Die österreichische Grenze ist das Ziel, in Nickelsdorf warten medizinische Versorgung, beheizte Zelte und ein geregelter Empfang.

Tatsache sei auch, dass die ungarische Polizei die Menschen bei der Ankunft an der kroatisch-ungarischen Grenze in Empfang nehme und bis zur österreichischen Grenze geleite, erklärt Babar Baloch, Sprecher des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) für Zentraleuropa.

Baloch wählt seine Worte vorsichtig, wenn es im Gespräch um die Zusammenarbeit mit den ungarischen Behörden geht. Alle paar Stunden trafen diese Woche von der Polizei begleitete Spezialzüge ein, immer jeweils mehrere hundert Menschen. Sie wurden durch das Land geschleust; «entry» und «exit», bloss nicht bleiben. Für das UNHCR, das nicht aktiv vor Ort arbeitet, sei es schwierig, Informationen über die Zugfahrpläne zu bekommen, so Baloch.

«Wir haben jeweils nicht viel Zeit»

Noch behutsamer geht Alice Szel vom Ungarischen Roten Kreuz vor, wenn sie über die Flüchtlingssituation im Land spricht. «Wir arbeiten mit der Polizei zusammen», so die Verantwortliche für Internationales und Migration. Sie klingt nicht glücklich darüber. Derzeit habe ihre Institution rund 60 Leute, davon die Hälfte Freiwillige, an den Grenzen des Landes im Einsatz – für geschätzte 10’000 Menschen täglich. «Wir haben jeweils nicht viel Zeit. Manchmal sagt uns die Polizei, wir hätten nur fünf bis zehn Minuten.» Man muss nicht besonders gut rechnen können, um zu merken, dass eine wirkliche Versorgung anders aussieht.

Zu Fuss im Wochenbett

Es seien derzeit viele Familien unterwegs, erzählen Hess, Baloch und Szel unabhängig voneinander. Es gäbe ganze Familien mit fünf Kindern, die unterwegs seien, so Hess von «Tsüri Hilft». Auch Baloch vom UNHCR bestätigt: «Es gibt sehr viele Frauen und Kinder. Für letztere ist der Weg sehr herausfordernd, die meisten sind krank. Wenn jetzt noch mehr Regen und Kälte kommt, wird es schwierig.» Die Zürcher Helferin Hess erzählt: «Die Leute haben zum Teil nur kurze Hosen und Flipflops, weil sie im Sommer losgegangen sind. Und viele Minderjährige sind alleine. Ich habe kurz mit einem 14-Jährigen gesprochen – er ist nur mit einem Freund unterwegs.»

Viele Familien würden auf der Flucht auseinandergerissen, erzählt Szel vom Roten Kreuz. Man versuche, die Familienangehörigen wieder zu finden – eine schier unmögliche Sache. In den letzten Tagen seien auch einige Kinder auf die Welt gekommen – die Mütter müssten unterwegs gebären. Im Glücksfall lässt sich eine Ambulanz finden.

Nun schliesst Ungarn nach der Grenze zu Serbien auch die Grenze zu Kroatien. Wie es weitergeht? «Es ist alles sehr unsicher», meint Baloch. «Die Menschen kommen. Aber auch der Winter steht vor der Türe. Das wird schwierig.» Die letzten Züge aus Kroatien werden gefahren. Womöglich verschiebt sich die Route der Flüchtlinge nach Slowenien. «Wir werden sehen», sagt Szel, die noch spätabends im Büro sitzt. Für die ehrenamtlichen Helfer aus Zürich ist jetzt vielleicht der Zeitpunkt, um etwas Schlaf nachzuholen – oder um sich auf die nächsten Einsätze vorzubereiten.

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