Zum Inhalt springen
Mehrere Migranten aus Afrika im Vordergrund, im Hintergrund ein Boot der italienischen Küstenwache.
Legende: Die Küstenwache bringt Gerettete nach Catania. Ihre Zeugenaussagen sollen Aufschluss über die Hintermänner geben. Keystone/Archiv

International «Lasst uns nicht alleine, wir sind überfordert»

Am Hafen von Catania sieht es aus wie an jedem Hafen: Fischerboote und Frachter kommen und gehen. Doch heute legt ein ganz spezielles Schiff an: Es hat Überlebende des jüngsten Bootsunglücks im Mittelmeer an Bord. Eine schwierige Aufgabe für die sizilianische Stadt.

SRF News: Franco Battel, Sie waren eben am Hafen von Catania, wo die Überlebenden des Unglücks hingebracht werden. Wie sieht es dort aus?

Franco Battel

Box aufklappen Box zuklappen
Porträt Franco Battel

Franco Battel ist seit Anfang 2015 SRF-Korrespondent in Rom. Davor war er als Auslandredaktor für Italien, Mexiko, Zentralamerika, Kuba und Liechtenstein verantwortlich. Er berichtete zudem vom UNO-Sitz in Genf.

Franco Battel: Heute Morgen kamen hier Fischerboote, aber auch Kreuzfahrtschiffe und Fähren an. Es herrschte – wie jeden Morgen an diesem Hafen – eine hektische Stimmung. Aber es waren noch keine Boote der Küstenwache da, der Guardia Costiera, die Überlebende nach Catania bringen sollen. Die sind offenbar noch in Malta. Es wird wahrscheinlich Nachmittag oder Abend, bis diese hier in Catania eintreffen.

Angeblich sollen die Toten auf Malta bleiben, die Überlebenden nach Catania gebracht werden. Weshalb gerade dorthin?

Hier gibt es auf der einen Seite einen grossen Hafen. Auf der anderen Seite aber auch ein grosses Spital. Man geht davon aus, dass ein Teil der Flüchtlinge krank oder verletzt ist. Hier gibt es aber zum Beispiel auch das Rote Kreuz, das Hilfe leisten kann, wenn diese Schiffbrüchigen, wenn sie hier ankommen, ihre Verwandten benachrichtigen wollen. Und es gibt hier eine spezialisierte Staatsanwaltschaft, die sich um Kriminalität auf dem Meer kümmert. Es geht ja auch darum, die Schuldigen für dieses Unglück – die Schlepper, die viel zu viele Menschen auf dieses Boot gebracht haben – zu ermitteln und zu bestrafen.

Ein überlebender Flüchtling hat die Zustände an Bord beschrieben. Was hat er erzählt?

Der Mann, der mit einem Helikopter nach Catania geflogen wurde, weil er schwer verletzt ist, hat erzählt, dass das Boot vollkommen überfüllt gewesen sei. Das beispielsweise auch Migranten unter Deck eingesperrt worden seien. Diese haben wohl, als das Boot kenterte, wenig Chancen gehabt, herauszukommen und zu schwimmen. Das heisst, sie sind wahrscheinlich ertrunken. Und der Überlebende sagte auch, dass an Bord 950 Personen gewesen seien, unter ihnen 200 Frauen und 40 bis 50 Kinder. Bisher sprach man von rund 700 Personen, die an Bord gewesen sein sollen.

Mehr zum Thema

Die Küstenwache sucht offenbar weiter nach den Vermissten. Bis Sonntagabend konnten erst 28 Menschen gerettet werden. Wie gross sind die Chancen, noch jemanden lebend zu finden?

Das Wasser im Mittelmeer ist etwa 17 Grad warm respektive kalt. Das heisst, das ist eine Temperatur, bei der Schiffbrüchige theoretisch während mehrerer Stunden überleben können. Man muss aber auch sagen, dass es jetzt mehr als 24 Stunden her ist, seit dieses Boot gut 100 Kilometer vor der Küste Libyens gekentert ist. Die letzten Meldungen über Gerettete liegen auch schon über 24 Stunden zurück. Die italienische Küstenwache sucht weiter nach Überlebenden. Aber man muss davon ausgehen, dass die Chancen, jetzt noch welche zu finden, ziemlich klein sind.

Hier gibt es eine spezialisierte Staatsanwaltschaft, die sich um Kriminalität auf dem Meer kümmert.

Wie reagieren die Menschen in Catania auf dieses Unglück?

Sie reagieren wie die meisten Italienerinnen und Italiener. Wie man in den Zeitungen liest, herrscht eine grosse Trauer und auch ein Entsetzen darüber, dass offenbar so viele Menschen gestorben sind. Überall hört man die Bitte: «Lasst uns nicht alleine. Das ist eine Riesenaufgabe. Wir sind überfordert. Wir können nichts machen.» Viele Leute hier möchten, dass bald Hilfe kommt, beispielsweise von Seiten der EU. Dies, damit wieder mehr Schiffe patrouillieren und auch wieder mit mehr Ressourcen nach Überlebenden gesucht werden kann. Denn diese wurden letzten Herbst ganz deutlich reduziert. Das ist hier an vielen Orten zu spüren.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Meistgelesene Artikel