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Eine alte Frau füttert Taube in der ostukrainischen Stadt Debaltsewe, im Hintergrund ein beschädigtes Haus
Legende: Die kriegsmüde Bevölkerung der Ukraine hofft auf eine Waffenruhe – die Chancen dafür sind ungewiss. Reuters

International «Ohne Einigung tritt das Worst-Case-Szenario ein»

Am Mittwoch gipfelt die deutsch-französische Diplomatie-Offensive zur Befriedung des Ukraine-Konflikts in Minsk. Kyryl Savin, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, erklärt, was sich die kriegsmüde Bevölkerung von der Verhandlungsrunde erwartet – und was droht, wenn sie scheitert.

SRF News: Was erwarten die Menschen in der Ukraine von den Verhandlungen in Minsk?

Kyryl Savin: In Kiew und in der ganzen Ukraine hofft man, dass eine Lösung aus dem Treffen hervorgeht. Aber leider sind die Meldungen, die man jetzt liest, nicht besonders positiv. Viele erachten es als eher unwahrscheinlich, dass bis Mittwoch eine Einigung erzielt wird. Dieser Verhandlungsprozess wird wohl eher länger dauern.

Was überwiegt: Hoffnung oder Sorge?

Kyryl Savin

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Porträt von Kyryl Savin

Der ukrainische Politologe Kyryl Savin war bis April 2015 Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew. Die deutsche Stiftung ist eine parteinahe Einrichtung der Partei Bündnis 90/Die Grünen und setzt sich «für eine aktive Friedenspolitik» ein.

Eher die Hoffnung. Die Ukraine ist sehr kriegsmüde. Flüchtlinge, Verletzte, jetzt die Mobilmachung – sehr viele Männer sind besorgt, dass sie einberufen werden. Auch die sehr, sehr tiefe wirtschaftliche Krise. Alle wissen, dass diese Dinge unmittelbar mit dem Krieg verbunden sind. Und wenn dieser unterbrochen wird, zumindest mit einer Feuerpause, könnten sich diese Krisenerscheinungen vermindern. Die Hoffnungen auf eine Einigung in Minsk sind also sehr gross.

Es gibt auch Leute, die in der Aufrüstung der ukrainischen Armee eine schnelle Lösung sehen. Die Frage der Waffenlieferungen wird aber kontrovers diskutiert. Wie wird diese Diskussion in der Ukraine selbst gesehen?

Es gibt tatsächlich die Option, dass vor allem die Vereinigten Staaten moderne Waffensysteme an die Ukraine liefern könnten. Ich sehe darin aber eher eine langfristige Lösung. Selbst wenn solche Waffen morgen geliefert werden, ist der Konflikt übermorgen nicht gelöst. Die Kämpfe werden sich intensivieren, auf beiden Seiten werden weiter Zivilisten sterben. Das würde ich als Worst-Case-Szenario betrachten: Wenn in Minsk keine Einigung gefunden wird, werden Waffen geliefert. Dann haben wir einen noch intensiveren Krieg als jetzt.

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In der Ukraine gibt es die Unterscheidung zwischen Friedens- und Kriegspartei. Es gibt Leute, die meinen, mit Putin könne man nicht verhandeln, da er alle Vereinbarungen breche. Man könne entsprechend nur militärisch gewinnen – und das heisst, dass die Ukraine nicht nur Waffen, sondern auch militärische Beratung braucht, um eine moderne, kampffähige Armee zu stellen. Daneben gibt es aber auch Politiker, Experten und zivilgesellschaftliche Aktivisten, die in Waffenlieferungen mehr Krieg und noch mehr Sterben sehen. Für sie ist der Konflikt militärisch nicht zu lösen.

Mit Hinblick auf das Gipfeltreffen in Minsk: Kann sich diese Haltung ändern, wenn die Verhandlungen am Mittwoch fehlschlagen?

Natürlich. Wenn die Friedensverhandlungen am Mittwoch scheitern, werden viele Ukrainer für die Option der Waffenlieferungen durch den Westen sein. Das wäre aus meiner Sicht ein absolutes Muss. Sonst wird die kleine Ukraine einfach ein Opfer des Aggressors sein.

Das Gespräch führte Eliane Leiser.

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