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Internationale Ukraine-Brigade Selenski ruft Kämpfer aus aller Welt – und wird gehört

Die von Präsident Selenski gegründete Internationale Brigade findet Anklang. Söldnertum oder legitime Waffenhilfe?

Vor ein paar Tagen hat der ukrainische Präsident Wolodomir Selenski eine Internationale Brigade ins Leben gerufen: Ausländische Staatsbürger, die der Ukraine freiwillig Waffenhilfe leisten wollen, sollen sich bei der ukrainischen Botschaft in ihrem Land melden.

US-Amerikaner, Briten oder Polen, die freiwillige Waffenhilfe für die Ukraine leisten, in fremden Diensten, als Teil einer Internationalen Brigade. In Grossbritannien finde die Idee Selenskis grossen Anklang, sagt Korrespondent Patrik Wülser: «120 ehemalige Fallschirmjäger der britischen Armee sollen als freiwillige Kämpfer bereits auf dem Weg in die Ukraine sein.»

120 ehemalige Fallschirmjäger der britischen Armee sollen als freiwillige Kämpfer bereits auf dem Weg in die Ukraine sein.
Autor: Patrik Wülser SRF-Grossbritannien-Korrespondent

Sie folgen einem Aufruf der ukrainischen Botschaft in London. Der Aufruf wird auch von offizieller Seite unterstützt. Aussenministerin Liz Truss erklärte kürzlich in der BBC, sie unterstütze Britinnen und Briten, die in der Ukraine kämpfen wollten. Die ukrainische Bevölkerung kämpfe für Freiheit und Demokratie, und zwar nicht nur für ihr Land, sondern für ganz Europa. Sie könnten auf ihre Unterstützung zählen, so Truss.

Internationale Brigade – ein rechtlicher Graubereich

Dabei sind Kriegseinsätze in fremden Diensten nach britischem Recht eigentlich strafbar. Verteidigungsminister Ben Wallace präzisierte die Empfehlung seiner Kabinettskollegin deshalb ein wenig. Er empfiehlt den Gang ins Kriegsgebiet dringend nur Leuten mit militärischer Ausbildung. Wer die ukrainische Bevölkerung unterstützen wolle, spende besser an ein Hilfswerk; dies sei zweckmässiger und sicherer.

Rechtlich steht die Internationale Brigade in einem Graubereich: Weil aber Selenski auf Freiwilligkeit setzt und keinen Lohn in Aussicht stellt, ist es nicht zwingend Söldnertum. Viele Staaten kennen zudem eine Ausnahmeregelung, die es Regierungen erlaubt, unter bestimmten Umständen einen militärischen Einsatz in fremden Diensten zu ermöglichen.

Polen: Zustimmung verlangt

So etwa Polen als Nachbarland der Ukraine. Trotzdem seien auch in Polen die administrativen Hürden hoch, sagt Korrespondent Roman Fillinger: Das Innenministerium muss dem Antrag zustimmen. Bei ehemaligen polnischen Soldaten braucht es zusätzlich die Zustimmung des Verteidigungsministeriums.

Für die Ukraine ist die internationale Brigade eine Möglichkeit, auf inoffiziellem Weg Waffenhilfe zu erhalten, ohne dass die Europäische Union oder die Nato offiziell ins Kriegsgeschehen eingreifen. Die Brigade hilft also, eine Direkt-Konfrontation der Nato mit Russland – und damit von Atom-Mächten – zu vermeiden.

Lettland änderte Gesetz

Einzelne Länder haben ihre Gesetze mit Blick auf die Internationale Brigade bereits angepasst. Etwa Lettland. «Das Parlament in Riga beschloss eine Gesetzesänderung, welche es lettischen Freiwilligen ab sofort erlaubt, in der Ukraine gegen russische Angreifer zu kämpfen», berichtet Korrespondent Bruno Kaufmann. Ähnliches erwägen Estland und Dänemark. Wie viele ausländische Freiwillige insgesamt in der Ukraine kämpfen wollen, ist derzeit schwer abschätzbar.

Nicht überall stösst die Brigade auf Zuspruch: Die australische Regierung etwa wolle nicht, dass australische Staatsbürger in der Ukraine kämpften, sagt Korrespondent Urs Wälterlin: «Premierminister Scott Morrison hat den Ausreisewilligen dringend davon abgeraten, selbst zur Waffe zu greifen. Es sei zu gefährlich.» Auch der Verband der Ukrainer in Australien warne, eine solche Reise sei eine Suizid-Aktion. Die Freiwilligen würden zu «Kanonenfutter».

Für Schweizerinnen und Schweizer ist ein Anschluss an die Internationale Ukraine-Brigade laut Militärstrafgesetz verboten und strafbar.

Internationale Brigaden und Humanitäres Völkerrecht:

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Das Humanitäre Völkerrecht (auch: «Kriegsvölkerrecht») erlaubt es Staatsgenhörigen aus anderen Ländern grundsätzlich, in einem Krieg zu kämpfen, solange sie dies nicht als Söldner gegen Geld tun. Dies erklärt Völkerrechtsprofessor Lorenz Langer von der Universität Zürich: Freiwilligenkorps sind also unter gewissen Voraussetzungen gestattet: Dazu gehören das Tragen einer Uniform und das offene Tragen der Waffe. Zudem muss eine gewisse Befehlsstruktur vorhanden sein.

Zum Umstand, dass nun offenbar ehemalige britische Fallschirmjäger in der Ukraine kämpfen und zu den schweren Drohungen Putins im Fall von Einmischung sagt Langer: «Grundsätzlich liegt keine Völkerrechtsverletzung vor. Denn es wird keine Gewalt gegen russisches Territorium angewendet. Es ist keine Intervention. Grossbritannien könnte sich sogar auf den Standpunkt stellen, dass es die Ukraine dabei unterstützt, ihr Recht auf kollektive Selbstverteidigung auszuüben. Aber solange britische Individuen beispielsweise ukrainischer Befehlsgewalt unterstellt bleiben, kann nicht von einer Teilnahme Grossbritanniens am Konflikt gesprochen werden.»

Ausländische Freiwillige, die in der Ukraine kämpfen, gehen laut Langer allerdings ein grosses Risiko ein: So ist offen, ob Russland sie als Kombattanten behandeln würde. Russland hat bisher das Humanitäre Völkerrecht im Ukraine-Konflikt mehrfach verletzt. Entsprechend wären die Rechte der Freiwilligen als Kriegsgefangene nicht unbedingt garantiert. Analog zu den Gefangenen in Guantanamo, wo die USA den Kombattantenstatus verneinten.

Langer geht davon aus, dass nicht militärische Aspekte ausschlaggebend waren, dass Selenski nun auf eine Internationale Brigade setzt, sondern die Idee einer Internationalisierung, um die ausländischen Regierungen noch stärker einzubinden. Mit dem grossen Risiko der Erpressbarkeit für diese Länder, wenn eigene Staatsangehörige in russische Gefangenschaft geraten – oder getötet werden.

Rendez-vous, 02.03.2022, 12:30 Uhr

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