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IS-Gefangene in Syrien «Viele ausländische Kämpfer sind nach Nordafrika gezogen»

IS-Gefangene vor kurdische Gerichte zu stellen, sei keine Lösung, so ein Terrorexperte. Auch, weil sie dort kaum in Haft blieben.

Zur Delegation aus Nordostsyrien, welche vergangene Woche die Westschweiz besuchte, gehörte auch Badran Ciya Kurd, hochrangiges Mitglied der kurdischen Selbstverwaltung, an.

Im Interview mit SRF und RTS macht er deutlich, dass man Gegenleistungen aus Europa erwarte: Finanzielle und juristische Unterstützung der Gerichtsprozesse.

Allerdings stellen sich noch etliche Fragen, wie an einer Tagung des Zentrums für Sicherheitsstudien (CSS) der ETH Zürich zum Thema IS-Gefangene am 31. Januar deutlich wurde.

Zu Gast war auch Richard Barrett, einst Chef der globalen Terrorabwehr beim britischen Geheimdienst MI6, heute Direktor beim Think Tank Global Strategy Network. Noch bevor die Kurden ihre Idee offiziell angekündigt hatten, hat sich Barrett im Gespräch mit SRF einer solchen Idee gegenüber skeptisch gezeigt: «Die Kurden sind kein Staat. Sie haben keine Gerichtsbarkeit, jedenfalls keine Gerichtsbarkeit, die wir anerkennen würden. Deshalb ist auch das sehr kompliziert.»

Eines ist für Barrett die schlechteste aller Optionen: der momentane Zustand, in dem die Männer in Gefängnissen zusammenpfercht und die Frauen und Kinder in Lagern interniert seien. «Ist das eine Lösung? Eine Lösung für die Kinder, von denen viele jünger als 5 Jahre alt sind zum Beispiel? Einfach dort lassen? Wer ist für sie verantwortlich? Wir haben eine moralische Verpflichtung.» Es sei eine politische Notwendigkeit und eine juristische Verantwortung, sich um diese Leute zu kümmern.

Die kurdischen Truppen würden sich zwar derzeit um die Tausenden Gefangenen kümmern, so Barrett, doch die Lage der Kurden selber sei bekanntlich gefährdet. Auf lange Frist könnten sie die IS-Gefangenen wohl nicht in Haft behalten.

«Die kurdische Verwaltung kann sie nicht ohne Ende dortbehalten. Wir haben bereits gesehen, dass viele ausländische Kämpfer nach Nordafrika gezogen sind, nach Libyen zum Beispiel.» Und wenn sie jetzt mit einer grossen Ablehnung gegenüber unserer Gesellschaft weiterziehen würden, sei es viel wahrscheinlicher, dass sie uns in Zukunft angreifen werden.

Lokale Gerichte in Syrien anstatt Strafverfahren in Europa – das bevorzugen auch viele Politiker in der Schweiz. Sie führen als Argument an, dass die Beweisführung in der Schweiz schwierig sei. Auch das war Gegenstand der Debatten unter internationalen Sicherheitsexperten, Akademikern und Regierungsvertretern an der ETH-Tagung.

Entscheidende Beweise

Simon Minks ist mit der Frage der Beweisführung gegen Terrorverdächtige täglich konfrontiert. Als leitender Staatsanwalt ist er in den Niederlanden für Terrorismus und Kriegsverbrechen zuständig. Politiker, die so argumentieren würden, hätten teilweise recht, findet er. Es sei aber ein Grundprinzip eines Rechtsstaates, dass jemand mangels Beweisen freigesprochen werde.

Staatsanwalt Minks führt im Gespräch mit SRF aus, dass es zwar schwierig und aufwändig sei, Strafverfahren gegen IS-Verdächtige zu führen – aber machbar. Entscheidend seien oft Beweise, die im Kriegsgebiet durch Sondertruppen gesichert würden: Dokumente aus einstigen Verwaltungsgebäuden des IS, Datenträger, Telefone, Notizen von getöteten Kämpfern, Befragungen von Gefangenen. «Es gibt überall viele Beweise darüber, was die Leute gemacht haben», so Minks.

SRF 4 News, 02.3.2020, 12.30 Uhr; hosb; gotl

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