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Israel in Aufruhr Ein Kompromiss bei der Justizreform könnte die Gemüter beruhigen

Seit Monaten spaltet eine von der Regierung Netanjahu geplante Justizreform Israel – heute könnte das Parlament den wichtigsten Teil des umstrittenen Vorhabens verabschieden. Dabei könnte es zu einem Kompromiss kommen, der dem Land etwas Schnauf verschaffen würde, wie die Journalistin Gisela Dachs in Tel Aviv ausführt.

Gisela Dachs

Journalistin in Israel

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Die gebürtige Deutsche arbeitet als Journalistin und Publizistin in Israel. Sie ist zudem Professorin am DAAD Center for German Studies und dem European Forum an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Sie lebt seit mehr als zwei Jahrzehnten mit ihrer Familie in Israel.

SRF News: Israels Staatspräsident Izchak Herzog drängt auf einen Kompromiss bei der Justizreform. Wie könnte dieser aussehen?

Gisela Dachs: Es ist vorstellbar, dass das Gesetz heute in einer eingeschränkten Version durchs Parlament geht. Doch wichtig würde in diesem Fall, was danach geschieht: In Diskussion ist eine Frist von acht bis 15 Monaten, in denen alle Versuche eingefroren würden, mit der Reform weiterzumachen. Das würde bei der ganzen Diskussion viel Spannung herausnehmen.

Würde man das Problem so nicht bloss um ein paar Monate aufschieben?

Letztendlich schon. Allerdings zeigen die neusten Umfragen, dass eine relative Mehrheit der Israeli von 46 Prozent gegen die Reform ist, 35 befürworten sie. Ausserdem könnte die Koalition bei einer neuen Wahl derzeit keinesfalls mehr mit einer Mehrheit rechnen. Deshalb versucht nun auch die Regierung, irgendwie einzulenken. Andererseits ist der Druck innerhalb der Regierung gross, mit der Reform weiterzumachen. Premier Netanjahu versucht jetzt, zwischen seiner Koalitionsregierung und der breiten Opposition in der Bevölkerung zu lavieren.

Druck von Seiten der Armee gegen die Justizreform ist der wohl wichtigste Pfeiler der Reformgegnerinnen.

Seit Monaten gibt es Massenproteste auf der Strasse gegen die Reform und neuerdings drohen Tausende Armeeangehörige mit Dienstverweigerung. Kann Netanjahu also gar nicht anders, als irgendeinem Kompromiss zuzustimmen?

Tatsächlich ist etwas Ähnliches noch nie vorgekommen: Die Armee ist die Lebensversicherung des Landes – der Druck von dieser Seite gegen die Justizreform ist der wohl wichtigste Pfeiler der Reformgegnerinnen.

Der Kompromiss könnte die Wogen immerhin vorübergehend etwas glätten.

Sollte der Kompromiss heute durchs Parlament kommen: Wird das die Wogen etwas glätten?

Das ist derzeit offen – auch weil noch unklar ist, wie dieser Kompromiss genau aussehen wird. Kommt das Gesetz aber durch, stellen sich zwei Fragen: Wird es sofort angewandt oder nicht? Und: Kann man Netanjahu vertrauen, dass die Reform dann nicht doch weiter vorangetrieben wird? Die Lage wird also fragil bleiben. Immerhin: Ein Kompromiss wäre wichtig für die Bevölkerung, um von der derzeit hohen Gangart etwas herunterzufahren. Und auch die Regierung könnte den Kompromiss in dem Sinne als Erfolg verbuchen, als dass sie immerhin etwas zustande gebracht habe. So könnten sich die Wogen immerhin vorübergehend etwas glätten.

Das Gespräch führte Raphaël Günther.

SRF 4 News, 24.07.2023, 06:20 Uhr ; 

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