Mittelmacht. Regionalmacht. Grossmacht. Bald vielleicht Supermacht. In vierzig Jahren habe sich China vom Armenhaus zur zweitgrössten Wirtschaft der Welt entwickelt, erklärt Wirtschaftshistoriker Harold James dem Publikum in Zürich.
Um das Jahr 2000 wuchs Chinas Wirtschaft um eindrückliche 14 Prozent, führt der Professor der US-Elite-Universität Princeton aus: «Auch nach der Finanzkrise lag das Wachstum bei fast zehn Prozent. Inzwischen hat sich die Wirtschaft zwar etwas abgekühlt, China ist aber immer noch ein mächtiges Arbeitspferd.»
Der Kuchen wird neu verteilt
China wächst noch immer mit über sechs Prozent – mehr als doppelt so schnell wie die USA und Europa, ergänzt Jan-Egbert Sturm von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. Trotz langsamerer Wachstumsraten vergrössere China damit seinen Anteil am Gesamtkuchen.
China habe eine beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung hinter sich, sagt auch Linda Yueh. Die britisch-amerikanische Professorin und Journalistin mit chinesischen Wurzeln lehrt an der Universität Oxford und an der London Business School. Die Zahlen würden aber nichts daran ändern, dass China drohe, in dieselben Wachstumsfallen zu tappen wie manch anderes Schwellenland.
Denn Chinas Mittelschicht sei noch nicht breit genug: «Seit 1960 haben über 100 Mittelstandsländer versucht, die Mittelschicht zu verbreitern. Bis 2008 haben es gerade mal zehn Länder geschafft, sich zu einer reichen Hochtechnologie-Nation zu entwickeln. Keines dieser Länder hatte Chinas Grösse», sagt Yueh.
EU ist mit sich selbst beschäftigt
Vor allem die grossen Lohndifferenzen zwischen Stadt und Land und die Rückständigkeit der ländlichen Gebiete könnten sich als strukturelle Hindernisse erweisen: «Wenn China nachhaltig wachsen will, muss die Regierung aufhören, die Wirtschaft so heftig mit Krediten und Staatsinvestitionen zu stimulieren. Das Wachstum sollte von der Nachfrage der Konsumenten getrieben sein.»
Die Ökonomen geben zu, dass Chinas Politik schwierig zu durchschauen sei. «Uns Europäern bereitet Sorgen, dass Geld aus einem Land kommt, dessen System wir nicht wirklich verstehen. Wir haben das Gefühl, dass auch politische Elemente eine Rolle bei den Investitionen spielen», sagt Sturm.
Sich Sorgen zu machen sei aber nicht genug, sagt Princeton-Professor James. Europa und speziell die EU bräuchten eine klarere Wirtschaftsstrategie. Die EU sei schon seit längerem zu sehr mit sich selbst beschäftigt – etwa mit der Verteilung der Flüchtlingsströme, dem Brexit, dem Haushaltsstreit mit Italien oder der Zukunftsfähigkeit des Euros.
Chinesische Technologie-Konzerne messen sich mit US-Tech-Giganten wie Facebook oder Google. Europa spielt da überhaupt keine Rolle.
Dies lenke davon ab, eine Strategie zu entwickeln für die künftige wirtschaftliche Weltordnung: «Chinesische Technologie-Konzerne wie Baidu oder Huawei messen sich mit US-Tech-Giganten wie Facebook oder Google. Europa spielt da überhaupt keine Rolle.»
Innovativ sein reicht nicht
Und das, obwohl europäische Länder innovationsstark sind. Zumindest gemessen am globalen Patent-Index. 2018 kamen acht der zehn innovativsten Länder aus Europa. Das Problem sei jedoch, dass europäische Länder es zu wenig schafften, diese Innovationen zu kommerzialisieren, sagt James.
Ein ernüchterndes Fazit für Europa – während China trotz Hürden weiter vorwärts rennt. Will China aber zur wirtschaftlichen Supermacht werden, muss es nach den Spielregeln des globalen Wirtschaftssystems spielen.