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Kampf um Werte in den USA «Weisse Männer in den USA sehen sich durch Eindringlinge bedroht»

Dass die USA ein gesellschaftlich tief verwurzeltes Rassismus-Problem haben, zeigt sich auch bei den Surfern in Kaliforniern: Immer wieder kommt es dort zu Zwischenfällen. Journalist Jürgen Schmieder, der in Kalifornien lebt, erläutert die Ursachen.

Jürgen Schmieder

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Der Journalist und Buchautor Jürgen Schmieder ist freier Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung» in den USA. Er lebt in Los Angeles/Kalifornien.

SRF News: Wie passen Surfer-Boys und Rassismus zusammen?

Jürgen Schmieder: Der typische Surfer ist weiss und blond. Er legt ein Revierverhalten an den Tag, das zu Rassismus führen kann. So surfte vor zwei Wochen etwa ein junger Afroamerikaner in Manhattan Beach, als es zum Streit mit einem weissen Teenager um eine Welle kam. Der Teenager war klar im Unrecht und entschuldigte sich umgehend. Doch ein weisser, mittelalter Mann kam dazu und beschimpfte den Afroamerikaner aufs heftigste, unter anderem mit dem N-Wort.

Der typische Surfer legt ein Revierverhalten an den Tag, das zu Rassismus führen kann.

Er riet ihm, am Strand für die Schwarzen surfen zu gehen. Dazu muss man wissen, dass es früher weiter nördlich einen speziellen Strand gab, an dem Schwarze surfen durften. Der Zwischenfall zeigt: Es geht weniger um die Welle als darum, dass sich der weisse Man daran stört, mit einem Afroamerikaner zu surfen.

Wie verbreitet ist dieses Rassismus-Phänomen unter den Surfern?

Es zieht sich durch ganz Kalifornien – von Norden nach Süden. Obschon der US-Bundesstaat für seine sehr liberale Politik bekannt ist, gibt es konservative «Blasen»: Strände, an denen farbige Surfer nicht gern gesehen werden.

Wie sind solch rassistische Auswüchse im so liberalen Kalifornien möglich?

Hintergrund ist ein demografischer Wandel: Zu Übergriffen kommt es meist in sehr wohlhabenden, sehr «weissen» Orten. Neuerdings ziehen auch junge Schwarze, Muslime oder Mexikaner dorthin. Sie stören das konservative, familiär geprägte Weltbild. Als Folge davon kommt es zu Übergriffen: So war der Porsche eines jungen, gut ausgebildeten und vermögenden Muslims in Hermosa Beach eines Morgens zerkratzt und mit Eiern beworfen. Es stellte sich heraus, dass dafür sein Nachbar verantwortlich war, der den jungen Mann denn auch mit dem N-Wort beschimpfte – obschon dieser gar nicht schwarz ist.

Es ist ein Rassismus gegen jegliche nicht-weissen Eindringlinge.

Die Weissen empfinden die Neuzuzügler als Eindringlinge und Bedrohung, die ihr Weltbild zerstören. Folge davon ist eine Abwehrhaltung – die Weissen denken, sie müssen sich wehren. Es ist nicht im eigentlichen Sinne Rassismus gegen Schwarze, es ist vielmehr eine Sonderform von Rassismus – einer gegen jegliche nicht-weissen Eindringlinge.

Wie gefährlich sind diese Aggro-Surfer?

Ihr Revierverhalten ist sehr aggressiv – sei es im Wasser im Streit um eine Welle oder an Land, indem Autos von «fremden» Surfern auf Parkplätzen beschädigt werden. Auch gibt es immer wieder Prügeleien. Immerhin kommt es – noch – nicht zum Äussersten.

Die Szene der Aggro-Surfer ist nicht sehr gross, aber eben: sehr aggressiv.

Betroffen sind dabei vor allem die beliebtesten Surfspots Kaliforniens – denn dort gibt es auch die schönsten Wellen zum Surfen. Zwar ist die Szene der Aggro-Surfer nicht sehr gross, aber eben: sehr aggressiv.

Ist die Gruppe der rassistischen weissen Surfer ein Abbild der US-Gesellschaft?

In der Tat zeigt sich daran, was derzeit in den USA passiert: Viele weisse Leute haben Angst, sich ändern zu müssen, dass ihnen ihre Lebensform, ihre Werte weggenommen oder zerstört werden. In den letzten vier Jahren hat Donald Trump mit diesen Ängsten gespielt und so konservative Leute auf seine Seite gezogen.

Viele Weisse haben Angst, dass ihre Werte zerstört werden. Trump hat in den letzten vier Jahren mit diesen Ängsten gespielt.

Genau das passiert im Kleinen auch in Kalifornien: Die Weissen wenden sich gegen die «anderen» Zuzügler – seien es nun Schwarze, Latinos, Muslime, Lesben oder Schwule. Solche konservative Blasen gibt es überall in den USA – das Land entzweit sich immer stärker.

Das Gespräch führte Adam Fehr.

SRF 4 News aktuell vom 21.4.2021, 07.45 Uhr ; 

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