Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Katzen und Hunde im Trend Haarige Kinder statt Babys in China

In China gibt es immer weniger Kinder, dafür haben junge Erwachsene immer mehr Haustiere. Der Markt für Katzen und Hunde wächst. Für viele sind die Tiere ein vollwertiges Familienmitglied.

Der Eingang zum «Fluffy Club» liegt zwischen den historischen Häusern am berühmten Bund in Shanghai, im Untergeschoss B1. Am Eingang liegen kostenlose Windeln. Hier gibt es einen Supermarkt, einen Coiffeur, ein Restaurant und alle möglichen Gadgets zu kaufen. Nicht für Menschen, sondern für Hunde und für Katzen.

Zoey Qian, 22, arbeitet in der Finanzindustrie und ist mit ihrer Katze und ihrem Freund da. Sie treffen hier ein anderes Paar – mit ihrem Hund. Zu viert trinken sie Tee, der Hund im Kinderwagen, die Katze auf dem Schoss. «Hier können wir zusammen ausgehen», sagt sie. «Es wäre traurig, unsere haarigen Kinder zu Hause zu lassen.»

Haarige Kinder, auf Chinesisch 毛孩子, ist das «Wort» im Zentrum des Phänomens. Seit der Pandemie ist es für junge Erwachsene zwischen 25 und 40 sehr trendy, ein Haustier zu halten. In China sind es heute wohl über 120 Millionen Tiere. Das sind mehr haarige Kinder als Kinder unter vier Jahren.

«Ein Kind zu haben ist riskant, weil man den Charakter ja nicht aussuchen kann», sagt Qian. Ihre Generation bevorzuge Haustiere, weil sie so eine Wahl haben. Die Haustierindustrie in China boomt, während der Rest der Wirtschaft schwächelt. Der Markt mit Katzenprodukten wächst jährlich um zehn Prozent. Der gesamte Markt für Haustiere hat ein Volumen von über 30 Milliarden Franken.

Das zeigt sich an der Pet Fair Asia, der grössten Haustiermesse in Asien: Sie empfängt dieses Jahr in 17 Hallen über eine halbe Million Besucherinnen und Besucher. Zwei Drittel sind Frauen. Die meisten bringen für die Schnäppchenjagd gleich einen Rollkoffer mit.

Wu Chenghui, 29, ist mit ihrem Hund Bobby auf der Messe. «Ich habe mit meinem Mann darüber gesprochen und wir wollen keine Kinder», sagt sie. Ein Kind sei viel teurer als ein Haustier. Ausserdem sei ein Hund loyal und streite nie.

Bis 2030 doppelt so viele Haustiere wie Kleinkinder

Mittendrin präsentiert sich die chinesische Firma Nourse wie eine topmoderne Drogerie. Sie verkauft Nahrungsergänzungsmittel für Haustiere. Marketingchefin Chen Ying, 31, erklärt, wie die Firma immer häufiger die «heilenden» Eigenschaften der Haustiere unterstreicht: ein Gegengift, quasi, zum toxischen Arbeitsleben.

Chen hält selbst eine Rassekatze, Britisch Kurzhaar, mit blauen Augen. «Es war sofort eine Verbindung da und es hat sich angefühlt, als ob das Schicksal sie für mich ausgewählt hat», sagt sie. Sie erhalte das firmeneigene Katzenfutter mit Probiotika aus Därmen von langlebigen Katzen.

Industrieexperten sind sich einig: Das Phänomen der «haarigen Kinder» hat erst begonnen. In der Öffentlichkeit von wohlhabenden Städten wie Shanghai gehören kleine Hunde in Kinderwagen bereits zum Strassenbild. Bis 2030 sollen in China doppelt so viele Haustiere wie Kleinkinder leben.

Gleichzeitig versucht die chinesische Regierung, das Kinderkriegen wieder attraktiver zu machen. Seit August erhalten Eltern pro Kind jährlich rund 400 Franken als Unterstützung. So etwas hat es in China noch nie gegeben. Doch es dürfte nicht reichen, um den Trend umzukehren.

«Sie nutzen Haustiere als Ersatz für Kinder»

Box aufklappen Box zuklappen

Li Xiaolong führt das Restaurant Pawsbuff für Hunde und Katzen in Shanghai. Er hat im Juni geöffnet und kennt seine Kundschaft genau.

SRF News: Was ist das Konzept von «Pawsbuff»?

Li Xiaolong: Wir widmen uns mit ganzem Herzen Haustieren und servieren ein vollständiges Sortiment an Tiernahrung. Wir verkaufen auch individuell gestaltete Kuchen und schön aussehende Mahlzeiten. Unser gesamtes Team wird von Tierernährungs­experten unterstützt. Wir achten besonders auf Tierallergien und auf die Qualität des Futters. Unsere Kundinnen und Kunden können hier Kontakte knüpfen, über ihr Leben, ihren Lebensstil und alle möglichen interessanten Dinge sprechen.

Wer sind ihre Kunden?

Die sogenannte «Haustierökonomie» hat sich in China in den drei bis vier Jahren nach der Corona-Pandemie besonders entwickelt. Die meisten neuen Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer sind heute zwischen 25 und 40 Jahren alt. Ihre Tiere sind meistens zwischen 0 und 4 Jahre alt und ihr Ansatz, Tiere zu halten, ist völlig neu. Sie ziehen ihre Haustiere gross, als wären es ihre eigenen Familienmitglieder oder Kinder. Viele von ihnen entscheiden sich gegen Kinder, weil das eine riesige Verantwortung ist. Mit anderen Worten: Sie nutzen Haustiere als Ersatz für Kinder.

Warum haben immer mehr Leute Haustiere statt Kinder?

Das Aufziehen eines Kindes ist sehr teuer. Es bringt sowohl materielle als auch immaterielle Verpflichtungen mit sich, wie zum Beispiel die Erziehung oder die Ausbildung. Wer aus der Kindererziehung ein Gefühl der Erfüllung ziehen will, muss auch schwerere Verantwortung übernehmen und enorme Mengen an Energie, Zeit und Geld investieren. Shanghai ist wie Tokio und New York eine sehr schnelllebige Stadt. Viele wünschen sich einen entspannten Lebensstil. Mit einem Haustier ist der «return on investment», also der emotionale Nutzen, die Freude und die Zufriedenheit, oft höher. Das ist eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung.

Das Gespräch führte Lukas Messmer.

Tagesschau, 15.10.2025, 19:30 Uhr; noes

Meistgelesene Artikel