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Kein Zugang zu Sperrzone «Ärzte ohne Grenzen» beenden Einsatz in Polens Grenzregion

Die «Ärzte ohne Grenzen» haben sich aus Polens Grenzregion zu Belarus zurückgezogen. Die polnischen Behörden hätten der Hilfsorganisation mehrfach den Zugang zur Sperrzone unmittelbar an der Grenze untersagt, hiess es in einer Mitteilung. Es sei nicht gelungen, eine Genehmigung für den Zutritt zum Grenzgebiet zu bekommen, so Frauke Ossig, zuständig für Polen und Litauen.

Frauke Ossig

Notfallkoordinatorin «Ärzte ohne Grenzen»

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Frauke Ossig ist seit November 2021 als Notfallkoordinatorin für Polen und Litauen bei der Hilfsorganisation «Ärzte ohne Grenzen» tätig.

SRF News: Weshalb zieht sich die Organisation «Ärzte ohne Grenzen» von der polnisch-belarussischen Grenze zurück?

Frauke Ossig: Die Zahl der Geflüchteten, die die Grenze überqueren, ist deutlich gesunken in den letzten Monaten, wenngleich nach wie vor Menschen die Grenze überqueren und sich in Gebieten aufhalten, wo wir sie nicht erreichen können. Die Leute bleiben im Wald aus Angst, zwangsweise zurückgeschoben zu werden nach Belarus, wo sie zuvor Gewalt erfahren haben. Sie haben es viele Male probiert.

Die Menschen werden sich in den meisten Fällen nicht bei den Behörden melden – aus Angst, ausgewiesen zu werden.
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Sie sind hin- und hergeschoben worden und bleiben nun versteckt im Wald, ohne Nahrung, oft ohne warme Kleidung, ohne Zugang zu Wasser oder medizinischer Versorgung, aus Angst, die Grenzposten zu alarmieren. Dort braucht es die Hilfe humanitärer Organisationen.

Ihre Organisation darf dieses Gebiet nicht mehr betreten. Wie lautet denn die Begründung der polnischen Behörden dafür?

Eine Begründung ist, dass es dort keinen Bedarf gibt. Sie teilten uns mit, dass sie jedem medizinische und humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen, der sich im Wald befindet. Das stellen wir auch gar nicht infrage. Was diese Einschätzung aber ignoriert, ist die Tatsache, dass sich die Menschen meistens nicht bei den Behörden melden – aus Angst, ausgewiesen zu werden, ohne jede Möglichkeit, Asyl oder internationalen Schutz beantragen zu können. Das verstösst komplett gegen europäische Gesetze, wird aber toleriert.

Grenzbeamte im Schnee bei einem Wald
Legende: Seit Monaten versuchen Menschen, via Belarus über die EU-Aussengrenze nach Polen zu gelangen. Ihre Situation ist schwierig: Es herrschen Minustemperaturen. Organisationen wie «Ärzte ohne Grenzen» erhalten aber keinen Zugang mehr. Keystone

Kommt es öfter vor, dass ein EU-Land Ihre Arbeit behindert?

Wir erleben immer wieder Blockierungen, ich kann nicht über alle europäischen Länder sprechen, aber wir haben in Italien extremste Blockaden gehabt; die Kriminalisierung unserer Hilfe, die wir im Mittelmeer zur Verfügung stellen, damit die Leute nicht ertrinken. Für uns bleibt es aber eine inakzeptable Doppelmoral, wenn EU-Politiker in Notsituationen in anderen Ländern der Welt Zugang zu humanitärer Hilfe fordern, aber schweigen, wenn es vor der eigenen Haustür Geflüchtete gibt.

Von humanitären Organisationen können sie nicht erreicht werden, sondern lediglich von Anwohnern aus der Zone.
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Welche Folgen hat der Rückzug für die geflüchteten Menschen?

Das lässt sie zurück in einer Situation, in der sie in den meisten Fällen unterkühlt, dehydriert und extremst erschöpft sind. Von humanitären Organisationen können sie nicht erreicht werden, sondern lediglich von Anwohnern aus der Zone, die eine wahnsinnige Arbeit machen, indem sie Hilfe leisten. Sie bräuchten definitiv die Unterstützung von unparteiischen, nicht staatlichen, humanitären Gruppen. Diese können diese Menschen jedoch nicht erreichen.

Sie arbeiten mit anderen Organisationen zusammen. Wenn sie jetzt nicht mehr dort sind, welche Folgen hat das für diese?

Durch den Rückgang der Anzahl Leute, die es tatsächlich schaffen, die Grenze zu überqueren und Polen erreichen, sollte die Hilfe ausserhalb der Sicherheitszone durch zivile Organisationen gewährleistet sein, was auch einer der Gründe ist, warum wir uns dort nicht mehr engagieren. Innerhalb der Zone bleibt es aber lediglich Anwohnern überlassen. Dabei ist es nicht ihre Aufgabe, ihre freie Zeit damit zu verbringen, Leuten Hilfe zu leisten. Davon abgesehen, dass sie medizinisch gar nicht dafür ausgebildet sind.

Das Gespräch führte Raphael Günther.

100 Migranten zurück in den Irak geflogen

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Knapp Hundert Iraker sind am vergangenen Wochenende mit einem Rückführungsflug aus der litauischen Hauptstadt Vilnius in ihre Heimat zurückgebracht worden.

Nach Angaben des Innenministeriums haben an Bord der Bagdad und Erbil ansteuernden Maschine insgesamt 98 illegal über die Grenze zum benachbarten Belarus eingereiste Migranten das baltische EU-Land verlassen. Es sei der erste Charterflug dieser Art gewesen. Die Iraker seien freiwillig in ihr Land zurückgekehrt, hiess es.

Litauen hatte die Anreize für rückkehrwillige Migranten zuletzt deutlich erhöht. Um sie zur Rückkehr in den Irak zu bewegen, wurde ihnen eine Einmalzahlung von 1000 Euro zugesagt. Dieses Angebot gilt noch bis zum 20. Januar.

SRF 4 News, 07.01.2022, 11:10 Uhr ; 

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