Debakel bei der EU-Grenzschutzagentur Frontex: Heute Freitag ist der Direktor, Fabrice Leggeri, zurückgetreten. Als Hintergrund der Entscheidung des 54-jährigen Franzosen gelten vor allem Ermittlungen zu illegalen Rückweisungen von Migranten im Mittelmeer. Frontex und Leggeri stehen deswegen seit Monaten in der Kritik. Doch welche konkreten Vorwürfe brachten den umstrittenen Frontex-Chef zu Fall?
Hinweise zu Menschenrechtsverletzungen
Im August 2019 kündigte die Europäische Union (EU) eine Untersuchung gegen Frontex an, nachdem grobe Misshandlungen von Migranten an den EU-Aussengrenzen durch Grenzpolizisten bekannt wurden. Dabei stützten sich mehrere Medienunternehmen bei ihrer Recherche auf Hunderte interne Frontex-Dokumente, die unter anderem «Misshandlung von Flüchtlingen», «Hetzjagden mit Hunden» und «Attacken mit Pfefferspray» dokumentierten.
Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) führte danach als Teil einer Untersuchung zu den Vorwürfen im Dezember 2020 eine Razzia in Leggeris Büro durch. Laut Olaf-Chef sollen bei der Ermittlung gegen Leggeri viele Beweise aufgetaucht sein, wie der «Spiegel» berichtete. Ermittler des OLAF fertigten daraufhin einen 200-seitigen Bericht an, der bisher jedoch geheim gehalten wird.
Die Vertreter der Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission haben die Vorwürfe überprüft und sind zum Schluss gekommen, dass es keine Beweise dafür gibt, dass Frontex sich an illegalen Rückweisungen beteiligt hat.
Gegenüber SRF stellte sich Fabrice Leggeri im Juni 2021 in einem Interview zu den Vorwürfen der Menschenrechtsverletzungen. Im Gespräch betonte der seit 2015 amtierende Frontex-Direktor, dass die Frontex einen Verhaltenskodex habe und die Grundrechte einzuhalten hätte. Weiter sagte er: «Die Vertreter der Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission haben die Vorwürfe überprüft und sind zum Schluss gekommen, dass es keine Beweise dafür gibt, dass Frontex sich an illegalen Rückweisungen beteiligt hat.»
Kritik gab es im selben Monat auch vom Europäischen Rechnungshof. Konkret bemängelte der Rechnungshof deutliche Organisationsdefizite bei der Frontex. Die Grenzschutzbehörde soll die Staaten nicht wirksam genug gegen illegale Einwanderung und grenzüberschreitende Kriminalität geschützt haben.
Skandal um Pushbacks in der Ägäis
Die Frontex war in zahlreiche Pushbacks involviert und hatte diese in ihrer Datenbank falsch deklariert, wie SRF-Recherchen zeigen. Wie ein Flüchtender gegenüber SRF erzählte, soll er mit weiteren Flüchtlingen im Mai 2021 auf einem Schlauchboot von der Türkei über die Ägäis nach Griechenland unterwegs gewesen sein. Anstatt ihre Asylanträge zu prüfen, habe die griechische Küstenwache sie zurück in türkische Gewässer gefahren.
Im März 2022 empfahl das Olaf dem Frontex-Verwaltungsrat, Disziplinarmassnahmen zu ergreifen. Denn drei Führungskräfte der Agentur sollen gegen EU-Regularien verstossen haben. Bei den Vorwürfen gegen Frontex handelt es sich ebenfalls um verschleierte Pushbacks in der Ägäis.
Der aktuellste Vorwurf, der am 28. April 2022 bekannt wurde: Die Rettungsorganisation Sea-Watch hat vor dem Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg Klage gegen die europäische Grenzschutzagentur Frontex erhoben. Die Klage sei bereits am 15. April eingegangen, bestätigte ein Sprecher des Gerichtshofs. Sea-Watch wirft der Agentur Menschenrechtsverletzungen im Mittelmeer vor.