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Frontex-Chef Fabrice Leggeri tritt zurück
Aus 10 vor 10 vom 29.04.2022.
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Knall bei Frontex Frontex-Direktor schmeisst hin: Das steckt dahinter

Nach schweren Vorwürfen ist Fabrice Leggeri zurückgetreten. Doch wie ist es dazu gekommen? Die Vorwürfe im Überblick.

Debakel bei der EU-Grenzschutzagentur Frontex: Heute Freitag ist der Direktor, Fabrice Leggeri, zurückgetreten. Als Hintergrund der Entscheidung des 54-jährigen Franzosen gelten vor allem Ermittlungen zu illegalen Rückweisungen von Migranten im Mittelmeer. Frontex und Leggeri stehen deswegen seit Monaten in der Kritik. Doch welche konkreten Vorwürfe brachten den umstrittenen Frontex-Chef zu Fall?

Hinweise zu Menschenrechtsverletzungen

Im August 2019 kündigte die Europäische Union (EU) eine Untersuchung gegen Frontex an, nachdem grobe Misshandlungen von Migranten an den EU-Aussengrenzen durch Grenzpolizisten bekannt wurden. Dabei stützten sich mehrere Medienunternehmen bei ihrer Recherche auf Hunderte interne Frontex-Dokumente, die unter anderem «Misshandlung von Flüchtlingen», «Hetzjagden mit Hunden» und «Attacken mit Pfefferspray» dokumentierten.

Was ist Frontex?

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Frontex wurde 2004 von der EU gegründet und nach der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 zur Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache ausgebaut.

Die Agentur beschäftigt rund 2000 Männer und Frauen aus den EU-Mitgliedstaaten, die den Grenzschutz an den EU-Aussengrenzen koordinieren und unterstützen. Rund 60 Prozent von ihnen sind bei Frontex angestellt, die übrigen werden von nationalen Grenzschutzbehörden zur Verfügung gestellt.

Die Schweiz beteiligt sich seit 2011 an der Organisation und soll sich an deren Ausbau beteiligen – so wollen es Bundesrat und Parlament. Heute setzt die Schweiz rund sechs Vollzeitstellen ein, bis 2027 sollen es maximal 40 sein. Der finanzielle Beitrag soll im selben Zeitraum von heute 24 auf schätzungsweise 61 Millionen steigen.

Da gegen diese Vorlage ein Referendum ergriffen wurde, stimmt das Schweizer Stimmvolk am 15. Mai über die Beteiligung am Ausbau der Frontex ab.

Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) führte danach als Teil einer Untersuchung zu den Vorwürfen im Dezember 2020 eine Razzia in Leggeris Büro durch. Laut Olaf-Chef sollen bei der Ermittlung gegen Leggeri viele Beweise aufgetaucht sein, wie der «Spiegel» berichtete. Ermittler des OLAF fertigten daraufhin einen 200-seitigen Bericht an, der bisher jedoch geheim gehalten wird.

Die Vertreter der Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission haben die Vorwürfe überprüft und sind zum Schluss gekommen, dass es keine Beweise dafür gibt, dass Frontex sich an illegalen Rückweisungen beteiligt hat.
Autor: Fabrice Leggeri Frontex-Chef

Gegenüber SRF stellte sich Fabrice Leggeri im Juni 2021 in einem Interview zu den Vorwürfen der Menschenrechtsverletzungen. Im Gespräch betonte der seit 2015 amtierende Frontex-Direktor, dass die Frontex einen Verhaltenskodex habe und die Grundrechte einzuhalten hätte. Weiter sagte er: «Die Vertreter der Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission haben die Vorwürfe überprüft und sind zum Schluss gekommen, dass es keine Beweise dafür gibt, dass Frontex sich an illegalen Rückweisungen beteiligt hat.»

Die Vorwürfe gegen Frontex

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Unterlassene Hilfeleistung: Frontex soll Informationen über Schiffe in Seenot, die zum Beispiel auf Patrouillenflügen gesammelt werden, zu spät an andere Schiffe weitergeben oder Hinweisen von Nichtregierungsorganisationen nicht nachgehen. So seien zum Beispiel nach einem Schiffbruch im April 2021 im östlichen Mittelmeer mehr als 120 Menschen gestorben – weil die Rettung zu spät kam.

Push-Backs: «To push back» heisst: zurückdrängen. Vereinfacht gesagt: Wenn eine Küstenwache das Schiff einer Schlepperbande zurückdrängt, ist das zwar rechtens. Wenn aber Menschen zurückgedrängt werden, die Asyl beantragen wollen, ist dies illegal. Denn es gibt in der EU das Recht auf einen Asylantrag. Im östlichen Mittelmeer zwischen Griechenland und der Türkei seien Menschen zum Beispiel auf künstlichen Inseln ausgesetzt worden, ohne einen Asylantrag stellen zu können.

Pull-Backs: «To pull back» heisst: zurückschleppen. Frontex, so der Vorwurf, versorge die libysche Küstenwache heimlich mit Informationen über Flüchtlingsboote, damit diese vom Mittelmeer zurück nach Libyen geschleppt werden können. In ein Bürgerkriegsland, in das nach geltendem europäischem Recht eigentlich niemand zurückgeschafft werden darf.

Kritik gab es im selben Monat auch vom Europäischen Rechnungshof. Konkret bemängelte der Rechnungshof deutliche Organisationsdefizite bei der Frontex. Die Grenzschutzbehörde soll die Staaten nicht wirksam genug gegen illegale Einwanderung und grenzüberschreitende Kriminalität geschützt haben.

Skandal um Pushbacks in der Ägäis

Die Frontex war in zahlreiche Pushbacks involviert und hatte diese in ihrer Datenbank falsch deklariert, wie SRF-Recherchen zeigen. Wie ein Flüchtender gegenüber SRF erzählte, soll er mit weiteren Flüchtlingen im Mai 2021 auf einem Schlauchboot von der Türkei über die Ägäis nach Griechenland unterwegs gewesen sein. Anstatt ihre Asylanträge zu prüfen, habe die griechische Küstenwache sie zurück in türkische Gewässer gefahren.

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Archiv: Ausgesetzt in der Ägäis: Frontex in Pushbacks involviert
Aus Rundschau vom 27.04.2022.
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Im März 2022 empfahl das Olaf dem Frontex-Verwaltungsrat, Disziplinarmassnahmen zu ergreifen. Denn drei Führungskräfte der Agentur sollen gegen EU-Regularien verstossen haben. Bei den Vorwürfen gegen Frontex handelt es sich ebenfalls um verschleierte Pushbacks in der Ägäis.

Der aktuellste Vorwurf, der am 28. April 2022 bekannt wurde: Die Rettungsorganisation Sea-Watch hat vor dem Gerichtshof der Europäischen Union in Luxemburg Klage gegen die europäische Grenzschutzagentur Frontex erhoben. Die Klage sei bereits am 15. April eingegangen, bestätigte ein Sprecher des Gerichtshofs. Sea-Watch wirft der Agentur Menschenrechtsverletzungen im Mittelmeer vor.

Tagesschau, 29.04.2022, 12:45 Uhr

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