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Konflikt Serbien-Kosovo Nummernschilder-Streit bringt Kosovo-Serben erneut in Rage

Die öffentlichen Angestellten der serbischen Minderheit im Kosovo haben gekündigt. Ein taktisches Manöver aus Belgrad?

Darum geht es beim Streit: Die Spannungen zwischen Kosovo und Serbien nehmen wegen des Nummernschilder-Streits wieder zu. Aus Protest kündigten Vertreterinnen und Vertreter der serbischen Minderheit in Nord-Kosovo ihre Ämter beim Staat: Polizisten, Parlamentarierinnen, Gemeindepräsidentinnen oder Richter. Auch der Vertreter der Kosovo-Serben in der Regierung ist von seinem Ministerposten zurückgetreten. Sie wollen so erzwingen, dass die landesweite Einführung der Kosovo-Autokennzeichen im serbisch besiedelten Norden von Kosovo ausgesetzt wird. Bisher fahren die Leute dort entweder mit serbischen Nummernschildern herum oder mit abgelaufenen Kennzeichen der früheren UNO-Verwaltung.

Die Kosovo-Serben im Norden: Der Boykott betrifft nur die Kosovo-Serben im Norden, eine Minderheit von 35'000 bis 40'000 Menschen. Die meisten Kosovo-Serben wohnen in Enklaven im Süden und haben die Nummernschilder schon längst akzeptiert – notgedrungen, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt. In Nord-Kosovo bleibt es dagegen eine symbolische Frage, denn die Menschen fühlen sich in ihrem direkt an Serbien angrenzenden und zusammenhängenden Siedlungsgebiet noch als Teil Serbiens, wie der Journalist Thomas Roser in Belgrad erklärt.

Fahrer an Grenzstation.
Legende: Der Nummernschilder-Streit schwelt schon seit Monaten. Ein Fahrer überklebt am 1. September beim Übergang von Kosovo ins serbische Jarinje die Nationalität am Kennzeichen. Am 27. August hatten Serbien und Kosovo mit der Vermittlung von Brüssel dem freien Verkehr zwischen den Ländern zugestimmt. imago images/Sputnik Serbia

Das Konfliktpotenzial:  Der Rückzug der Kosovo-Serben aus den kosovarischen Institutionen habe das Potenzial, die Spannungen vor Ort weiter zu verschärfen, warnte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell. Zur Entspannung trage dieser Schritt sicher nicht bei, sagt Experte Roser dazu. Allerdings halte er das von Belgrad gerne gezeichnete Szenario von neuen bewaffneten Konflikten für übertrieben: Die Kosovo-Serben ziehen sich nicht das erste Mal aus der Regierung zurück. Es ist wohl ein taktisches Manöver Belgrads. Präsident Aleksandar Vucic liebt die Dauerkrise, um das verschreckte serbische Volk hinter sich zu scharen und von heimischen Problemen abzulenken. Dazu gehören die steigenden Preise und die hohe Inflation, aber auch der steigende Druck der EU, die Sanktionen gegen Russland zu übernehmen.

Weitere mögliche Motive: Gleichzeitig dürfte der Rückzug der Angestellten für Belgrad laut Roser ein Druckmittel in den Verhandlungen mit der EU und Pristina sein: Und zwar, um die Einführung der Kennzeichen zu verschleppen und eine nicht umgesetzte Vereinbarung des Brüsseler Abkommens von 2013 durchzusetzen – die Schaffung eines Verbands der Serbischen Kosovo-Kommunen. Serbien möchte so einen Verband mit eigenem Parlament. Kosovo wehrt sich und hat mit Blick auf Bosnien Angst, dass wieder ein Staat im Staat entstehen könnte.

Gefahren für serbische Minderheit in Kosovo: Vor allem für die Kosovo-Serben in den isolierten kleineren Enklaven im Süden sei das Leben schon jetzt schwer genug, sagt Roser. Jeder Verschlechterung der Beziehungen bekomme die Minderheit zu spüren. Sei es durch Anfeindungen, Übergriffe oder zerstörte Friedhöfe durch albanische Nationalisten. Im Norden, wo sich die Minderheit noch als Teil des Mutterlands fühle, sei es etwas anders. Aber auch ihnen mache der Schilderstreit zu schaffen: Serben, die sich weigern, Kosovo-Kennzeichen zu nutzen, drohen Strafen. Wer die Schilder anschraubt, muss Racheaktionen nationalistischer Landsleute befürchten. Mehrere Autos von vermeintlichen Landesverrätern wurden in Nord-Kosovo bereits abgefackelt.

Echo der Zeit, 07.11.2022, 18:00 Uhr ; 

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