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Spannungen Serbien-Kosovo Aleksandar Vucic kommt der Streit mit Kosovo gelegen

Reziprozität sprich Gleichbehandlung – das ist das Schlüsselwort der Politik von Kosovos Regierungschef Albin Kurti gegenüber Serbien und dessen Präsidenten Aleksandar Vucic: Was ihr von uns Kosovaren verlangt, wenn wir nach Serbien kommen, das verlangen wir auch von euch Serben, wenn ihr nach Kosovo kommt.

Damit will Kurti Serbien zwingen, seinem Land auf Augenhöhe zu begegnen, obwohl sich Serbien nach wie vor weigert, Kosovo als Staat anzuerkennen. So sollten Serben ab Anfang August nur noch nach Kosovo einreisen dürfen, wenn sie zusätzlich zu ihrer Identitätskarte ein Formular ausfüllen; so wie es Kosovaren schon seit langem bei der Einreise nach Serbien tun müssen.

Das serbische Tabu

Vor einem Jahr brach ein ähnlicher Streit aus, als Kurti sich daran machte, die Gleichbehandlung der serbischen und kosovarischen Auto-Nummernschilder durchzusetzen. Auch da ging man mit Worten bis an den Rand eines Kriegs.

Albin Kurti.
Legende: Kosovos Premier Albin Kurti: Kampf um Anerkennung geht weiter. Keystone/Archiv

Das Problem ist, dass das Prinzip der Reziprozität genau auf das grösste serbische Tabu zielt. Die grosse Mehrheit der Serbinnen und Serben betrachten Kosovo als eine Art heilige serbische Erde, die sie niemals hergeben wollen. Kosovo, das sich 2008 unabhängig erklärt hat, ist für sie ein Fake-Staat.

Kosovos Regierungschef Kurti aber ist fest davon überzeugt, dass normale Beziehungen mit Serbien nur möglich sind, wenn die Serben die Unabhängigkeit Kosovos anerkennen. Sonst werde sein Land immer in einem Zustand der latenten Bedrohung schweben. Er wird in diesem Punkt nicht lockerlassen.

Vucic schürt den Konflikt in eigener Sache

Auf der serbischen Seite steht Kurti der immer autoritärere Präsident Aleksander Vucic gegenüber. Er hat die volle Kontrolle über die Strippenzieher unter der serbischen Minderheit im Norden Kosovos. Auf sein Geheiss errichten sie Barrikaden und auf sein Geheiss bauen sie diese wieder ab.

Aleksaner Vucic
Legende: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic hat seinem Land den EU-Beitritt versprochen. Zurzeit stehen die Zeichen aber schlecht. Keystone/Archiv

Vucic ist berüchtigt dafür, dass er in der gleichen Rede Katastrophenszenarien an die Wand malt, Kriegsängste schürt und sich gleichzeitig als Garant für Stabilität in Szene setzt. Ihm kommen die immer wiederkehrenden Konflikte rund um Kosovo sehr gelegen.

Willkommene Ablenkungsmanöver

Erstens kann Vucic dabei der Bevölkerung Serbiens jeweils vorführen, dass er der grösste Verteidiger ihrer nationalen Interessen sei. Und zweitens kann er damit von seinem grossen wunden Punkt ablenken: Vucic hat der Bevölkerung Serbiens nämlich einen europäischen Lebensstandard und den EU-Beitritt versprochen.

Er hat aber in den letzten acht Jahren in Serbien die Medienfreiheit, die Demokratie und den Rechtsstaat so weit ausgehöhlt, dass sein Land in diesem Zustand niemals in die EU aufgenommen werden kann.

Wenn Vucic den Streit jedes Mal bis kurz vor die Gewalt eskalieren lässt, wenn Kurti Reziprozität fordert, hat das für ihn den Vorteil, dass dann alle über den Konflikt mit Kosovo reden und niemand mehr über die fehlende Medienfreiheit und den kaputten Rechtsstaat.

Dann sind Albin Kurti und die Kosovaren mindestens so sehr schuld, wenn Serbien Richtung EU nicht vorankommt. Und noch ein Punkt: Jedes Mal, wenn Vucic den Konflikt eskalieren lässt, kann er den Europäern vor Augen führen, dass nur er die Lage wieder entschärfen kann – dass es ohne ihn nicht geht.  All das spricht dafür, dass es zwischen Serbien und Kosovo nicht so schnell Ruhe geben wird.

Echo der Zeit, 02.08.2022, 18:00 Uhr

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