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Krieg im Kaukasus Armenien und Aserbaidschan beenden Kämpfe – dank Moskau

Die Führungen von Armenien und Aserbaidschan haben sich offenbar auf ein Ende der Kampfhandlungen verständigt.

Nach mehr als sechs Wochen schwerer Gefechte in der Südkaukasus-Republik Berg-Karabach haben sich Armenien und Aserbaidschan auf ein Ende aller Kampfhandlungen verständigt.

Die Vereinbarung kam unter Vermittlung von Russlands Präsident Wladimir Putin zustande, wie der Kreml in Moskau mitteilte. Russische Friedenstruppen sollen die Waffenruhe den Angaben zufolge überwachen.

Russische Soldaten als Friedensgaranten

Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte bereits in der Nacht auf Dienstag Aufnahmen, die die Vorbereitung und den Transport von Soldaten per Flugzeug in die Krisenregion zeigen sollten.

Zerschossenes Haus.
Legende: Am Montag hatte Aserbaidschan die Einnahme der wichtigen Stadt Schuscha vermeldet. Reuters

Der aserbaidschanische Staatschef Ilham Aliyev sagte, der Einsatz von Friedenstruppen sei vorerst auf fünf Jahre begrenzt. Er könne jedoch verlängert werden, wenn sowohl Armenien als auch Aserbaidschan dem zustimmten. Das Kontingent soll demnach rund 2000 Soldaten betragen.

Das sieht die Vereinbarung vor:

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  • Gefangenenaustausch.
  • Die Leichen der getöteten Soldaten werden übergeben.
  • Flüchtlinge sollen unter Aufsicht der Vereinten Nationen in ihre Heimat zurückkehren.
  • Russische Grenztruppen übernehmen die Kontrolle über die Transportverbindungen zwischen Karabach und Armenien.
  • Aserbaidschan und Armenien frieren ihre aktuellen Positionen ein.

Der Führer der nicht anerkannten Republik Karabach, Araik Arutjunjan, verteidigte die Übereinkunft. «Die entstandene schwere Situation berücksichtigend und ausgehend von der Notwendigkeit, weitere grosse menschliche Verluste und den vollständigen Verlust von Karabach zu vermeiden, habe ich meine Zustimmung zur Beendigung des Krieges gegeben», schrieb der 46-Jährige bei Facebook.

Die Waffenruhe ist um 01:00 Uhr Ortszeit in Kraft getreten.

Langfristige Lösung angestrebt

Nach Ansicht Putins ist die Vereinbarung die Grundlage für eine langfristige Lösung des Karabach-Problems. Bisher gab es bereits drei Anläufe für eine Waffenruhe. Sie scheiterten allesamt. Es ist aber das erste Mal, dass die Staats- und Regierungschef eine solche Vereinbarung unterzeichneten.

Das aserbaidschanische Fernsehen zeigte live, wie Aliyev und Putin parallel die Dokumente unterzeichneten. Ursprünglich sollte auch der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan dabei sein. «Paschinjan weigerte sich, die Erklärung zu unterzeichnen, doch er wird es tun müssen», verkündete Aliyev später in einer Ansprache an die Nation.

Armenien hat quasi kapituliert

Paschinjan selbst sprach von einer äusserst schwierigen Entscheidung. «Der Text ist für mich persönlich und für unser Volk schmerzhaft.» Er habe sich aber nach reiflicher Überlegung und Analyse der Lage für eine Unterzeichnung entschieden, schrieb Paschinjan. Beobachter werteten das als Kapitulation.

Ausschreitungen enttäuschter Armenier

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In Armeniens Hauptstadt Eriwan kam es nach Bekanntwerden der Vereinbarung für eine Waffenruhe zu Ausschreitungen. Demonstranten besetzten in der Nacht zum Dienstag das Regierungsgebäude. Sie zerschlugen Möbel, Türen und Fenster – aus Wut und Enttäuschung ob der Kapitulation der Regierung. Sie beschimpften Regierungschef Nikol Paschinjan als Verräter, einige seien bis in dessen Büro von vorgedrungen. Mehrere Hundert Menschen hielten sich laut TV-Berichten vor dem Regierungssitz auf. (dpa)

Die Gefechte zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach hatten Ende September begonnen und über 1200 Todesopfer gefordert. Der Konflikt selbst ist aber schon jahrzehntealt. So verlor Aserbaidschan nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor rund 30 Jahren die Kontrolle über das bergige Gebiet mit etwa 145'000 Bewohnern.

Seit 1994 galt eine brüchige Waffenruhe. Aserbaidschan beruft sich in dem neuen Krieg auf das Völkerrecht und sucht immer wieder die Unterstützung von seinem «Bruderstaat» Türkei. Armenien wiederum setzt auf Russland als Schutzmacht.

Einschätzung von SRF-Russland-Korrespondent David Nauer

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David Nauer

Wie stehen die Chancen, dass diese Waffenruhe hält?

Es sieht nach einer soliden Lösung aus. Also danach, dass dieser Waffenstillstand tatsächlich halten kann. Und zwar vor allem, weil Russland Friedenstruppen schickt. Das ist ganz klar ein Faktor, der die Lage stabilisieren dürfte. Allerdings gibt es auch noch Risiken. Eines dieser Risiken ist bestimmt, dass in Armenien sehr viele Menschen diese Vereinbarung ablehnen, weil sie sie quasi als Kapitulation sehen. Dazu kommt, dass es ja schon früher Versuche gegeben hat, die Kämpfe einzustellen, und diese Versuche sind jedes Mal gescheitert. Es ist also schon noch ein gewisses Unsicherheitspotenzial da. Aber es sieht dieses Mal danach aus, dass die Waffenruhe solide sein könnte und dass dieser Vertrag das Ende des Krieges bedeuten könnte.

Karte der umstrittenen Region.
Legende: Die Region Berg-Karabach wird von Armenien und Aserbaidschan beansprucht. SRF

SRF 4 News, 10.11.20202; 01.00 Uhr ; 

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