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Kampf um Region Berg-Karabach Russland-Korrespondent: «Aserbaidschan geht ganz gezielt vor»

Der blutige Konflikt um Berg-Karabach hält an. Die Gefahr einer Ausweitung sei real, sagte SRF-Korrespondent David Nauer.

Seit einer Woche ist der Konflikt in der Region Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan neu entflammt. Die Zahl der Opfer steigt täglich. Aserbaidschan gehe, bestärkt durch die Türken, ganz gezielt vor, sagt Russland-Korrespondent David Nauer.

SRF News: Die Kämpfe nehmen stark zu. Was weiss man über die aktuelle Lage?

David Nauer: In den vergangenen Tagen ist entlang der ganzen Frontlinie gekämpft worden. Die Aserbaidschaner melden die Eroberung zahlreicher Gebiete, darunter mehrere Geisterdörfe und ein Städtchen in der Pufferzone. Es werden aber auch Orte im Hinterland beschossen, darunter Berg-Karabachs Hauptstadt Stepanakert, wo angeblich auch Streumunition eingesetzt wurde. Die Armenier feuerten Raketen auf die zweitgrösste Stadt Aserbaidschans, Ganja, ab.

Was weiss man über Opfer?

Die Angaben variieren stark. Die Armenier behaupten, sie hätten über 3000 aserbaidschanische Soldaten getötet. Die Aserbaidschaner sprechen von 2000 Mann Verlust bei den Armeniern. Diese Zahlen sind zweifellos propagandistisch aufgeblasen. Sicher ist, dass es viele Todesopfer gibt, darunter mehrere Dutzend Zivilisten. Die Aserbaidschaner veröffentlichten regelmässig Videos vom Kampfgeschehen. Sie zeigen, wie armenische Panzer und Soldaten vernichtet werden. Die Opferzahlen müssen recht gross sein.

Sicher ist, dass es viele Todesopfer gibt, darunter mehrere Dutzend Zivilisten.

Weiss man schon mehr über den Ursprung der Eskalation?

Das Kampfgeschehen deutet darauf hin, dass die Aserbaidschaner den Konflikt haben eskalieren lassen. Sie wollen die Region Berg-Karabach zurückerobern. Sie gehen sehr gezielt vor und geben sich auch sehr unversöhnlich. Präsident Ilham Aliyev machte deutlich, dass ein Waffenstillstand zwar möglich sei, aber nur bei einem Rückzug Armeniens aus Berg-Karabach. Anders der Ton in Armenien: Präsident Nikol Paschinjan zeigte sich kürzlich verhandlungsbereit, wenn Aserbaidschan seine Aggression einstellt.

Berg-Karabach.
Legende: Die aserbaidschanische Artillerie richtete die der Hauptstadt der Region Berg-Karabach, Stepanakert, beträchtliche Schäden an. Keystone

Aserbaidschan wird von der Türkei unterstützt und ist militärisch überlegen. Ist Aserbaidschan im Vorteil?

Ganz klar. Gebiete wurden erobert, und die Aserbaidschaner haben kein Interesse an einer Feuerpause. Die Unterstützung der Türkei spielt eine ganz wichtige Rolle. Sie stellen sich eindeutig hinter Aserbaidschan und liefern nicht nur Waffen, sondern giessen auch noch verbal Öl ins Feuer. Das hat Aserbaidschan sicher ermuntert, militärisch vorzugehen.

Aserbaidschan geht sehr gezielt vor und gibt sich auch sehr unversöhnlich.

Armenien wendet sich seit Tagen mit dramatischen Hilfsappellen an die Schutzmacht Russland. Was steckt dahinter?

Russland zögert und will offenbar nicht in den Konflikt hineingezogen werden. Armenien ist ein sehr kleines und armes Land mit einer tragischen Geschichte. Der Genozid an den Armeniern durch die Türken wirkt als Trauma nach. Es ist die grosse Angst, zwischen Feinden eingeklemmt zu sein. Es geht um Heimat und Existenz – das ist das Gefühl in Armenien und deshalb auch diese dramatische Rhetorik.

Karte der Region
Legende: SRF

Wie gross ist die Gefahr, dass sich der Konflikt über die Region Berg-Karabach hinaus ausweiten könnte?

Die Gefahr ist real. Ein hoher armenischer Offizieller sagte gestern, er glaube zwar nicht, dass die Stadt Eriwan in Gefahr sei. Es wird also mindestens damit gerechnet. Die Gefahr eines grossen Kriegs besteht allerdings. In der Vergangenheit ist der Konflikt oft jeweils nach ein paar Tagen wieder eingeschlafen. Jetzt geht er schon eine Woche, und niemand weiss, wie es in einer Woche aussieht.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

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