Kritik am US-Militärschlag: An der Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrats kritisierten China und Russland den US-Militärschlag scharf. Moskaus Repräsentant bei den Vereinten Nationen, Wassily Nebenzia, bezeichnete den Angriff als gravierende Verletzung der UNO-Charta. Auch manche arabische Staaten, der Iran selbst sowie verschiedene Völkerrechtsexpertinnen und -experten sehen internationales Recht gebrochen. Die USA verlangen – wie Israel – seit Jahren, dass der Iran sein Atomprogramm beendet. Sie werfen der Führung in Teheran vor, zur Atommacht werden zu wollen und auf den Bau von Atombomben hinzuarbeiten.
Das sagt das Völkerrecht: Grundsätzlich sind Staaten verpflichtet, ihre Konflikte friedlich zu lösen und den Verhandlungsweg zu begehen. Erst wenn ein Staat angegriffen wird, kann er das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehmen. Hierbei gebe es zwei Auslegungen bei der Frage, wann die Selbstverteidigung gelte, sagt Evelyne Schmid, Professorin für internationales Recht an der Universität Lausanne. «Die starre Sicht sagt, dass der Angriff eines anderen Staates bereits stattfinden muss. Das ist die Sicht des internationalen Gerichtshofs.» Die etwas weniger strenge, aber weitverbreitete Sicht besage, «dass ein Staat auch militärisch tätig werden darf, wenn ein Angriff imminent [also unmittelbar bevorstehend, Anm. d. R.] ist». Dabei müssen gemäss Schmid zwei Kriterien gelten: Der angreifende Staat hat unwiderruflich beschlossen, einen militärischen Angriff zu starten. Und es muss sich um den letztmöglichen Moment handeln, diesen Angriff noch abzuwehren. «Man sagt zum Beispiel beim Sechstagekrieg von 1967: Wenn die Panzer bereits rollen, dann ist der Angriff imminent.»
Der entscheidende Punkt: Ausschlaggebend bei der Prüfung, ob sich ein Staat auf sein eigenes Selbstverteidigungsrecht berufen darf, ist, ob ein Angriff unmittelbar bevorstand und wie konkret die Gefahr war. Im Fall des US-Luftangriffs müsste also geprüft werden, ob der Iran unmittelbar davor stand, die USA anzugreifen. Dafür gibt es derzeit keine Belege.
Keine «kollektive Selbstverteidigung»: Allerdings spricht Artikel 51 der UNO-Charta nebst dem «individuellen» auch vom «kollektiven Selbstverteidigungsrecht». Das bedeutet, dass es mit dem Völkerrecht vereinbar ist, einem verbündeten Staat bei dessen Selbstverteidigung militärisch zur Seite zu stehen. Dazu muss sich aber der Verbündete tatsächlich in einer Selbstverteidigungslage befinden. «Eine solche Situation haben wir hier aber nicht», sagt Oliver Diggelmann, Professor für Völkerrecht an der Universität Zürich. «Die USA können sich deshalb nicht auf kollektive Selbstverteidigung zur Unterstützung Israels berufen. Sie verletzen vielmehr ihrerseits das Gewaltverbot.»
Illegal, aber legitim? Manche Völkerrechtler weichen aus Verlegenheitsgründen auf die Formel «illegal, aber legitim» aus, sagt Diggelmann, weil das Gewaltverbot auch Schurkenstaaten vor zwischenstaatlicher Gewalt schütze. «Man muss aber sehen: Mit einer solchen Argumentation trägt man letztlich selbst zur Erosion des Völkerrechts bei. Wenn man sagt: Etwas ist zwar illegal, aber es gibt gute Gründe, das Recht im konkreten Einzelfall beiseitezuschieben, dann höhlt man die Autorität des Völkerrechts aus.» Wie gefährlich dieser Vorgang sei, erläuterte Islamwissenschaftler Reinhard Schulze am Sonntagabend in der Arena-Spezialsendung: «Wir denken, die Gefährlichkeit rührt daher, dass ein Konflikt einfach immer grössere Dimensionen annimmt. Aber ich glaube, sie liegt darin begründet, dass wir keine Mechanismen mehr haben, solche Konflikte adäquat zu bewältigen», sagte Schulze. Instrumente wie die UNO oder das Völkerrecht, die einen solchen Konflikt normalerweise bewältigen würden, funktionierten nicht mehr. Offensichtlich besitze die Politik nicht mehr das richtige Instrumentarium. Sein Gegenüber, ETH-Militärexperte Marcel Berni, pflichtete Schulze bei: Die Welt drohe wieder in die Welt, in der das Recht des Stärkeren gelte, zurückzufallen.