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Krieg im Nahen Osten War der US-Luftangriff auf den Iran völkerrechtswidrig?

Nach dem US-Militärschlag gegen den Iran stellen sich viele Fragen zum Völkerrecht. Dieses erlaubt einen solchen Angriff nur unter strengen Bedingungen.

Kritik am US-Militärschlag: An der Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrats kritisierten China und Russland den US-Militärschlag scharf. Moskaus Repräsentant bei den Vereinten Nationen, Wassily Nebenzia, bezeichnete den Angriff als gravierende Verletzung der UNO-Charta. Auch manche arabische Staaten, der Iran selbst sowie verschiedene Völkerrechtsexpertinnen und -experten sehen internationales Recht gebrochen. Die USA verlangen – wie Israel – seit Jahren, dass der Iran sein Atomprogramm beendet. Sie werfen der Führung in Teheran vor, zur Atommacht werden zu wollen und auf den Bau von Atombomben hinzuarbeiten.

Das ist passiert:

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Trump und andere Kabinettsmitglieder vor dem Rednerpult.
Legende: Trump verkündet in einer Rede an die Nation den Einsatz «Mitternachtshammer». REUTERS / Carlos Barria/Pool

Die USA haben in der Nacht auf Sonntag in den Krieg zwischen ihrem Verbündeten Israel und dem Iran eingegriffen und drei iranische Atomanlagen angegriffen. Das Ausmass des Luftangriffs unter anderem mit bunkerbrechenden Bomben ist noch nicht ersichtlich: US-Präsident Trump spricht von der kompletten Zerstörung der Anlagen, der Iran von Schäden um die Uran-Anreicherungsanlage Fordo. Laut der Hilfsorganisation Roter Halbmond wurden beim US-Angriff keine Menschen getötet und nur wenige verletzt. Gemäss der Internationalen Atombehörde IAEA ist keine Strahlung ausserhalb der angegriffenen Nuklearanlagen gemessen worden. Iran drohte umgehend mit Konsequenzen.

Als Reaktion auf den US-Angriff hat der Iran wiederum einen Raketenangriff auf den US-Militärstützpunkt Al-Udeid in Katar ausgeführt. Das meldete das iranische Staatsfernsehen. Katars Luftabwehr habe die Raketen abgefangen, meldete der Sender «Al-Jazeera» unter Berufung auf den Verteidigungsminister des Landes. Katar selbst gab bekannt, es habe bei dem Angriff auf die Militärbasis keine Opfer gegeben.

Das sagt das Völkerrecht: Grundsätzlich sind Staaten verpflichtet, ihre Konflikte friedlich zu lösen und den Verhandlungsweg zu begehen. Erst wenn ein Staat angegriffen wird, kann er das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehmen. Hierbei gebe es zwei Auslegungen bei der Frage, wann die Selbstverteidigung gelte, sagt Evelyne Schmid, Professorin für internationales Recht an der Universität Lausanne. «Die starre Sicht sagt, dass der Angriff eines anderen Staates bereits stattfinden muss. Das ist die Sicht des internationalen Gerichtshofs.» Die etwas weniger strenge, aber weitverbreitete Sicht besage, «dass ein Staat auch militärisch tätig werden darf, wenn ein Angriff imminent [also unmittelbar bevorstehend, Anm. d. R.] ist». Dabei müssen gemäss Schmid zwei Kriterien gelten: Der angreifende Staat hat unwiderruflich beschlossen, einen militärischen Angriff zu starten. Und es muss sich um den letztmöglichen Moment handeln, diesen Angriff noch abzuwehren. «Man sagt zum Beispiel beim Sechstagekrieg von 1967: Wenn die Panzer bereits rollen, dann ist der Angriff imminent.»

Die UNO-Charta wortwörtlich

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Völkerrechtliches Gewaltverbot:

Wörtlich heisst es in Artikel 2 Absatz 4:

«Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.»

Von diesem Gewaltverbot gibt es nur eine Ausnahme: das Selbstverteidigungsrecht. Dieses wird in der UNO-Charta ausdrücklich erwähnt. Im Artikel 51 heisst es:

«Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, [...].»

Quelle: Charta der Vereinten Nationen, Fedlex

Der entscheidende Punkt: Ausschlaggebend bei der Prüfung, ob sich ein Staat auf sein eigenes Selbstverteidigungsrecht berufen darf, ist, ob ein Angriff unmittelbar bevorstand und wie konkret die Gefahr war. Im Fall des US-Luftangriffs müsste also geprüft werden, ob der Iran unmittelbar davor stand, die USA anzugreifen. Dafür gibt es derzeit keine Belege.

Keine «kollektive Selbstverteidigung»: Allerdings spricht Artikel 51 der UNO-Charta nebst dem «individuellen» auch vom «kollektiven Selbst­verteidigungs­recht». Das bedeutet, dass es mit dem Völkerrecht vereinbar ist, einem verbündeten Staat bei dessen Selbstverteidigung militärisch zur Seite zu stehen. Dazu muss sich aber der Verbündete tatsächlich in einer Selbstverteidigungslage befinden. «Eine solche Situation haben wir hier aber nicht», sagt Oliver Diggelmann, Professor für Völkerrecht an der Universität Zürich. «Die USA können sich deshalb nicht auf kollektive Selbstverteidigung zur Unterstützung Israels berufen. Sie verletzen vielmehr ihrerseits das Gewaltverbot.»

Und was ist mit dem Luftangriff Israels gegen den Iran?

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In der Nacht des 13. Juni führt Israel einen grossangelegten Luftangriff gegen den Iran durch. Der Iran schiesst daraufhin mit Raketen zurück. Beide Seiten argumentieren mit dem Recht auf Selbstverteidigung: Israel verweist auf die Tatsache, dass der Iran Israel als Staat nicht anerkenne und verbal seit Jahren mit dessen Vernichtung drohe. Die iranische Führung wertete den israelischen Grossangriff vom 13. Juni als Kriegserklärung und die eigene militärische Reaktion als legitimen Akt der Selbstverteidigung.

Auch der israelische Luftangriff ist völkerrechtlich höchst umstritten. Denn ein Recht auf präventive Gewaltanwendung, also beispielsweise aufgrund eines Bedrohungsgefühls, gebe es nicht, sagen Schmid und Diggelmann. «Selbst wenn der Iran am 12. Juni bereits die Atomwaffe gehabt hätte, dann bedeutet es noch nicht, dass ein imminenter Angriff vorliegt», sagt Evelyne Schmid. Falls ein Angriff tatsächlich kurz bevor gestanden hätte, müsste Israel Beweise vorlegen, was das Land nicht getan habe, fügt Diggelmann an.

Demzufolge kommen Schmid und Diggelmann zum Schluss: Der Angriff Israels auf den Iran am 12. Juni verletzte das völkerrechtliche Gewaltverbot, da kein «bewaffneter Angriff» seitens des Iran vorlag, der der israelischen Militäroperation unmittelbar vorausging. Das Selbstverteidigungsrecht diene der Abwehr von Angriffen, die im Gang sind, nicht generell der Gefahrenprävention, so Diggelmann.

Illegal, aber legitim? Manche Völkerrechtler weichen aus Verlegenheitsgründen auf die Formel «illegal, aber legitim» aus, sagt Diggelmann, weil das Gewaltverbot auch Schurkenstaaten vor zwischenstaatlicher Gewalt schütze. «Man muss aber sehen: Mit einer solchen Argumentation trägt man letztlich selbst zur Erosion des Völkerrechts bei. Wenn man sagt: Etwas ist zwar illegal, aber es gibt gute Gründe, das Recht im konkreten Einzelfall beiseitezuschieben, dann höhlt man die Autorität des Völkerrechts aus.» Wie gefährlich dieser Vorgang sei, erläuterte Islamwissenschaftler Reinhard Schulze am Sonntagabend in der Arena-Spezialsendung: «Wir denken, die Gefährlichkeit rührt daher, dass ein Konflikt einfach immer grössere Dimensionen annimmt. Aber ich glaube, sie liegt darin begründet, dass wir keine Mechanismen mehr haben, solche Konflikte adäquat zu bewältigen», sagte Schulze. Instrumente wie die UNO oder das Völkerrecht, die einen solchen Konflikt normalerweise bewältigen würden, funktionierten nicht mehr. Offensichtlich besitze die Politik nicht mehr das richtige Instrumentarium. Sein Gegenüber, ETH-Militärexperte Marcel Berni, pflichtete Schulze bei: Die Welt drohe wieder in die Welt, in der das Recht des Stärkeren gelte, zurückzufallen.

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Heute Morgen, 23.06.2025, 06:00 Uhr;brus

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