Zum Inhalt springen

Krieg in der Ukraine ETH-Sicherheitsexperte: «Die Waffenlieferungen können helfen»

Die Europäische Union erhöht den Druck auf Russland und wagt einen historischen Schritt: Die EU plant, den ukrainischen Streitkräften Waffen und Ausrüstung im Wert von einer halben Milliarde Euro zu liefern. Es ist das erste Mal in der Geschichte der EU, dass sie Waffen an ein Land liefert, das angegriffen wird.

Den Ukrainern helfe dies womöglich tatsächlich – moralisch, aber auch im Krieg gegen die Russen, sagt der ETH-Sicherheitsexperte Mauro Mantovani.

Mauro Mantovani

Sicherheitsexperte MILAK/ETH

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Der promovierte Historiker ist seit 2009 Dozent für Strategische Studien an der Militärakademie an der ETH. Er ist durch eine Reihe von Publikationen zur schweizerischen Sicherheitspolitik hervorgetreten. Zuvor arbeitete er unter anderem im Auslandnachrichtendienst (SND).

SRF News: Welche Waffen dürfte die EU in die Ukraine liefern?

Mauro Mantovani: Auch wenn offiziell nichts bekannt ist, so geht es wohl vor allem um Panzerabwehrwaffen und Stinger-Flugabwehrraketen. Beide Systeme können von jeweils einem einzigen Mann bedient werden.

Panzerwrack am Strassenrand.
Legende: Zerstörter Panzer bei Charkiw. Panzerfäuste können den Vormarsch der Russen durchaus verlangsamen. Reuters

In welchen Situationen kann die ukrainische Armee diese Waffen einsetzen?

Beide Waffentypen werden aus der Deckung heraus auf gepanzerte Fahrzeuge und Kampfflugzeuge eingesetzt. Sie besitzen eine sehr gute Durchschlagskraft und können aus einer beträchtlichen Distanz auf das Ziel abgefeuert werden.

Kommen diese Waffen noch rechtzeitig in der Ukraine an?

In der Tat werden sie wohl nicht sofort an der Kriegsfront eintreffen. Allerdings könnte sich der Krieg in der Ukraine noch länger hinziehen.

Man muss sich auf ein Szenario eines Guerillakrieges einstellen.
Autor:

Man muss sich auf ein Szenario eines Guerillakrieges gegen eine russische Besatzung einstellen. Wir würden in diesem Fall von einem Zeitraum von Monaten oder Jahren des Krieges sprechen.

Die Ukraine hat in den vergangenen Jahren bereits Waffen erhalten – wieso ist sie jetzt noch auf diese Lieferungen angewiesen?

Das Land kennt Flugabwehr-Lenkwaffen und panzerbrechende Munition aus Sowjetzeiten. Zudem hat sie seit 2014 Stinger erhalten. Es gibt also wohl auf diesem Waffentyp ausgebildete Soldaten. Ausserdem hat die ukrainische Armee wohl auch Simulatoren zu diesem Zweck.

2000 Stinger-Raketen würden die Abwehrkraft der Ukrainer durchaus stärken.
Autor:

Doch die offenbar 2000 Stinger-Raketen, die die EU liefern will, hätten für die ukrainische Verteidigung eine substanzielle Bedeutung und würde ihre Abwehrkraft durchaus stärken.

Karte Ukraine.
Legende: Russische Truppen stossen aus drei Richtungen in die Ukraine vor. SRF

Können die Waffenlieferungen aus der EU Russland einschüchtern?

Die Lieferungen sind zunächst ein starkes politisches Zeichen des Westens, an der Seite der Ukraine in diesen heissen Konflikt einzugreifen. Für die Kampfmoral der Ukrainer ist das von grosser Bedeutung. Und es wird die russische Seite beeindrucken.

Die Russen haben im Afghanistan-Krieg schmerzliche Erfahrungen mit Stinger gemacht.
Autor:

Die Russen kennen die Wirksamkeit der Stinger-Flugabwehrraketen aus dem Afghanistan-Krieg der 1980er-Jahre sehr gut und haben damit schmerzliche Erfahrungen gemacht. Entsprechend werden sie alles unternehmen, um diese Waffenlieferungen zu unterbinden.

Wie werden die Russen da vorgehen?

Sie können das an verschiedenen Orten machen. Sie könnten schon an der Grenze versuchen, die Lieferungen abzufangen – wie auch auf dem Weg zu den ukrainischen Kampfverbänden.

Die Russen könnten den Krieg intensivieren, um ihn vor Eintreffen der Stinger zu entscheiden.
Autor:

Sie werden die Kriegführung wohl auch intensivieren, um damit den Krieg rasch zu entscheiden – bevor die Panzer- und Flugabwehrwaffen eintreffen.

Wie sehr können die Waffen aus der EU also der Ukraine im Krieg gegen Russland helfen?

Kurzfristig helfen die Waffenlieferungen der Ukraine moralisch erheblich und mittelfristig helfen sie ihr potenziell erheblich.

Das Gespräch führte Vera Deragisch.

SRF 4 News, 28.02.2022, 09:40 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel