Zum Inhalt springen

Krieg in Gaza «Ausserhalb des Gazastreifens stehen 1000 Lastwagen bereit»

Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, sieht Anzeichen dafür, dass Israel den Hunger im Gazastreifen als Kriegsmethode einsetzt. Die Vereinten Nationen haben am Montag vor einer unmittelbar bevorstehenden Hungerkatastrophe gewarnt. Martin Frick vom Welternährungsprogramm (engl.: World Food Programme, kurz WFP) sagt, wie schlimm die Lage in Gaza wirklich ist.

Martin Frick

Direktor des WFP-Büros für Deutschland/Österreich/Liechtenstein

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Martin Frick ist seit November 2021 der Direktor des Welternährungsprogramm-Büros (WFP) für Deutschland, Österreich und Liechtenstein in Berlin. Zuvor war er Sondergesandter des UNO-Generalsekretärs für den «Food Systems Summit 2021», leitender Direktor des UNFCCC-Sekretariats, das sich um die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens kümmert, und Klimachef der UNO-Welternährungsorganisation (FAO).

SRF News: Was sagen Sie zu dieser Aussage des UNO-Hochkommissariats?

Martin Frick: Es gibt eine Sicherheitsratsresolution von 2018, Nummer 24-17. Sie verbietet ausdrücklich, dass Hunger als Kriegswaffe eingesetzt wird. Nun ist kürzlich ein Expertenbericht veröffentlicht worden, der besagt, dass im Gazastreifen erstens alle Einwohnenden hungern und zweitens über eine Million Menschen auf der höchsten Stufe des Hungers sind – also kurz vor der Hungersnot.

Seit Bestehen des Expertengremiums hat es solch eine grosse Anzahl von Menschen in der höchsten Stufe des Hungers noch nie gegeben. Wir haben zurzeit im Gazastreifen mehr Menschen in dieser Situation als in der ganzen Welt zusammen. Zu beurteilen, ob das den Tatbestand des Einsatzes als Kriegswaffe erfüllt, steht uns als humanitäre Organisation nicht zu.

Bis jetzt sind 60 Prozent unserer Konvois nicht genehmigt worden.

Wenn man dies Israel vorwerfen würde, spielen dann nicht auch Ägypten und die Hamas eine Rolle? Ägypten, weil es die Grenze für Palästinenserinnen und Palästinenser geschlossen hält und die Hamas, die immer wieder Hilfslieferungen stiehlt?

Unsere grössten Probleme sind zurzeit, Lebensmittel in den Gazastreifen zu bekommen. Ausserhalb des Gazastreifens stehen über 1000 Lastwagen bereit. Dass sie nicht vor allem in den Norden Gazas vordringen können, hat zwei Gründe. Das eine sind langwierige und schwierige Genehmigungsverfahren, um in den Gazastreifen zu kommen: Bis jetzt sind 60 Prozent unserer Konvois nicht genehmigt worden. Und dann besteht auch akut die Gefahr, dass Hilfslieferungen geplündert werden, weil eben alle Menschen im Gazastreifen verzweifelt sind.

Offenbar wurden durch das WPF bereits 2000 Tonnen Hilfsmittel und Lebensmittel über Jordanien oder mithilfe Jordaniens nach Gaza gebracht. Können Sie das bestätigen?

Wir haben seit dem Beginn des Krieges jeden Tag Menschen unterstützt. Wir haben im Februar insgesamt 1.5 Millionen Menschen erreicht – das aber vor allem im Süden. Aber wie kommen wir in den Norden? Dazu benötigen wir dringend die Öffnung der Grenzen im Norden. Und wir brauchen natürlich eine Waffenruhe, damit wir diese Hilfsgüter unter geordneten Umständen verteilen können.

Wir sind voller Sorge für unsere eigenen Mitarbeitenden und wir sind natürlich entsetzt über die Hungersituation in Gaza.

Wie geht es Ihnen als Vertreter des WPF angesichts dieser Situation?

Ich bin in der komfortablen Situation, in Berlin zu sitzen. Man muss wirklich sagen, dass meine Kolleginnen und Kollegen, aber auch die anderen UNO-Organisationen, unter Lebensgefahr arbeiten. Die Vereinten Nationen haben in diesem Krieg mehr Mitarbeitende verloren, als das jemals seit dem Zweiten Weltkrieg der Fall war – über 165. Wir sind voller Sorge für unsere eigenen Mitarbeitenden und wir sind natürlich entsetzt über die Hungersituation in Gaza.

Blick in ein Zelt mit vielen grossen Kochtöpfen
Legende: Freiwillige bereiten in einem Flüchtlingscamp in Rafah Essen zu, wenn sie dafür Lebensmittel haben. Keystone/Haithami Imad

Wie dringend brauchen Sie den Zugang?

Es ist dringendst. Wenn wir sagen, wir sind einen Schritt von der Hungersnot weg, ist es eigentlich schon zu spät. Wir haben erwiesene Erkenntnisse darüber, dass 26 Menschen bereits verhungert sind, darunter 21 Kinder. Wenn wir nicht unmittelbar und sofort etwas unternehmen, wird diese Zahl rasant ansteigen.

Das Gespräch führte Iwana Pribakovic.             

Krieg im Nahen Osten

Box aufklappen Box zuklappen

Die Konflikte in Israel, im Westjordanland, im Gazastreifen und in Libanon halten an. Hier finden Sie alle unsere Inhalte zum Krieg im Nahen Osten.

Rendez-vous, 20.03.2024, 12:30 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel