Seit der Einnahme von Al-Fascher erreichen täglich mehr Überlebende das 60 Kilometer entfernte Tawila. Einer der wenigen Orte in Darfur, der noch Sicherheit bietet. Dort versuchen sie, Worte zu finden für das, was sie erlebt haben. So wie Adam Khamis Abdi gegenüber dem britischen Sender Channel 4 News.
Tagelang war er unterwegs auf Strassen voller Leichen, von Nachbarn, von Freunden. «Wir mussten unsere Brüder zurücklassen», berichtet Abdi. «Ihre Leichen lagen auf der Strasse, nicht einmal bedeckt. So sehr ich mich auch bemühe, dieses Böse lässt sich nicht beschreiben.»
Erschütternde Berichte
Unabhängige Informationen aus Darfur sind kaum zu bekommen. Das Gebiet ist für Journalistinnen und Journalisten praktisch unzugänglich. Doch Amnesty International hat nun Berichte von 28 Überlebenden publiziert.
Die Blutflecken auf dem Boden von Al-Fascher erkennt man aus dem Weltraum. Der Fleck auf der Bilanz der internationalen Gemeinschaft ist weniger sichtbar, aber nicht weniger verheerend.
Viele Männer erzählen, dass Angehörige und Freunde direkt vor ihren Augen erschossen wurden, oft nachdem sie sich auf den Boden legen mussten. RSF-Kämpfer hätten zudem viele verschleppt und nur gegen Lösegeld freigelassen. In mehreren Fällen schickten sie Videos von Erschiessungen an die Familien, um Druck zu machen.
Gestützt werden diese Aussagen auch von Satellitenbildern, die die Yale Universität ausgewertet hat. Märkte, die früher voller Menschen waren, sind leer.
Der UNO-Menschenrechtskommissar Volker Türk fand im Rahmen einer Sondersitzung ungewöhnlich deutliche Worte: «Das Blut auf dem Boden von Al-Fascher erkennt man aus dem Weltraum. Der Fleck auf der Bilanz der internationalen Gemeinschaft ist weniger sichtbar, aber nicht weniger verheerend.»
Was die Überlebenden berichten, sieht auch Jérôme Bertrand, Einsatzlogistiker bei der Organisation Handicap International. Er ist soeben von einer dreiwöchigen Mission in Tawila zurückgekehrt und beschreibt gegenüber SRF, in welchem Zustand die Menschen dort eintreffen. «Die meisten kommen mit gar nichts an. Unterwegs wurden sie überfallen, geschlagen, erpresst, entführt oder vergewaltigt.»
Wen retten – wen nicht?
Viele der Menschen hätten aufgeschürfte Knie und Ellenbogen, weil sie nachts teils Hunderte Meter, vielleicht sogar Kilometer gekrochen seien, um Angreifer zu umgehen. «Und alle zeigen klare Zeichen schwerer Mangelernährung nach der monatelangen Belagerung von El-Fascher», sagt Bertrand.
«Wir können den Menschen nur noch ein Viertel von dem geben, was sie bräuchten», sagt Bertrand. «Das bringt uns in unmenschliche Dilemmata: Wir müssen entscheiden, wem wir helfen und wobei wir helfen. Wasser oder Essen?»
Humanitäres Elend – politischer Stillstand
Dazu kommen massive logistische Hindernisse. Die Hilfe kommt über eine lange Lieferkette aus dem Nachbarland Tschad, weil die normalen Strassen wegen der Frontlinien unpassierbar sind. «Wir müssen über Schotterpisten durch eine Kette alter Vulkane fahren», berichtet Bertrand. «Die Wege sind extrem schlecht. Manchmal dauert es bis zu zwei Monate, bis Hilfe überhaupt ankommt.»
Bertrand fordert deshalb vor allem eines: einen sicheren und dauerhaften humanitären Zugang. Politisch bewegt sich gleichzeitig kaum etwas. Ein internationaler Waffenstillstandsvorschlag liegt seit Wochen auf dem Tisch. Doch wie die USA bestätigen, hat bis heute keine der beiden Kriegsparteien diesen Vorschlag offiziell akzeptiert. Währenddessen geht der Kampf in anderen Regionen des Landes unvermindert weiter.