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Lage in Mariupol «Die Asow-Kämpfer haben die Wahl zwischen Folter und Tod»

Am Wochenende konnten nach langem Warten rund 100 Zivilisten aus dem von russischen Truppen belagerten Industrieareal Asowstal in Mariupol evakuiert werden.

Doch in den Bunkern des Stahlwerks befinden sich noch Hunderte weitere Menschen – darunter viele verletzte Kämpfer des berüchtigten Asow-Regiments, einer von Rechtsextremen 2014 gegründeten Miliz, die später in die ukrainischen Streitkräfte integriert wurde. Laut SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky ist ihre Situation desaströs.

Luzia Tschirky

Russland-Korrespondentin

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Luzia Tschirky ist SRF-Korrespondentin für die Region Russland und die ehemalige UdSSR.

SRF News: Was wissen Sie über die aktuelle Lage bei den Evakuierungen im Stahlwerk Asowstal?

Luzia Tschirky: Heute Morgen sollten die Evakuierungen von Zivilisten aus dem Stahlwerk in Mariupol weitergehen. Doch erfahrungsgemäss erfährt die Öffentlichkeit erst mit grosser Verzögerung, ob das auch tatsächlich geschehen ist. Das war auch bei der mithilfe von UNO und IKRK gelungenen Evakuierung am Wochenende der Fall – es dauert allein mehrere Stunden, bis die Evakuierten die russischen und ukrainischen Checkpoints passiert haben und sich auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet befinden.

Der russische Beschuss ging nach Aufhebung des humanitären Korridors gleich weiter.
Autor:

Gleichzeitig verschlechtert sich die Lage für die mehreren Hundert Menschen immer mehr, die noch in dem Werk ausharren – so ging der russische Beschuss am Montag gleich nach Ende des humanitären Korridors unvermittelt weiter.

Die ukrainische Regierung spricht von einer humanitären Katastrophe in Asowstal. Was ist bekannt?

Es ist fast nicht mehr möglich für die Eingeschlossenen, nach aussen zu kommunizieren. Eine Bekannte hat mir von einem in Asowstal eingeschlossenen jungen, verwundeten Soldaten erzählt – einem von angeblich mehreren Hundert.

Hunderte eingeschlossene und verletzte Kämpfer bräuchten dringend medizinische Hilfe.
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Sie hätten kein frisches Trinkwasser mehr und müssten in dem Stahlwerk aufgefangenes Brackwasser trinken, das alles andere als sauber ist. Ausserdem bräuchten die vielen verletzten Soldaten dringend medizinische Hilfe, ihre Situation wird mit jeder Stunde katastrophaler. Russland duldet es im Moment, dass Zivilistinnen und Zivilisten gerettet werden.

Was erwartet die verbliebenen Kämpferinnen und Kämpfer in Asowstal?

Für die eingeschlossenen Soldaten des Asow-Battalions gibt es nur zwei Möglichkeiten – Folter oder Tod: Weiterkämpfen bis zum Tod oder sich in russische Gefangenschaft begeben, wo mit grosser Wahrscheinlichkeit Folter droht. Für viele Asow-Kämpfer ist eine Kapitulation deshalb keine valable Alternative. Die meisten von ihnen werden deshalb wohl bei Gefechten früher oder später umkommen.

Das Gespräch führte Vera Deragisch.

SRF 4 News, HeuteMorgen, 3.5.2022, 6:00 Uhr ; 

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