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Tagebuch aus Kiew: Leben ohne Heizung
Aus Echo der Zeit vom 24.11.2022. Bild: AP Photo/Andrew Kravchenko
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Leben im Ukraine-Krieg «Wir sind frei. Und wir werden siegen!»

Die junge Mutter Daryna ist wieder in Kiew. Trotz russischer Raketenangriffe und Stromausfällen will sie dort bleiben.

Ein halbes Jahr ist es her, seit Daryna Anastassiewa in ihre Wohnung nach Kiew zurückgekehrt ist. Sie hatte nach Kriegsbeginn mit ihrer Familie – mit Kindern, Eltern, der Grossmutter – vorübergehend Zuflucht in der Zentralukraine gefunden. Doch dann wollte sie unbedingt wieder nach Hause.

Für die Grossmutter war das Hin und Her zu viel: Ihr geistiger Zustand habe sich nach der Rückkehr verschlechtert, erzählt die 34-jährige Daryna Anastassiewa. Dazu kamen körperliche Beschwerden.

Eine ältere Frau und ein Kind, das tanzt.
Legende: Für die Grossmutter war das Ganze zu viel: Sie starb Ende Oktober an einem Schlaganfall. Im Bild ist auch eine der Töchter Darynas. SRF/Daryna Anastassiewa

Schliesslich starb die Grossmutter Ende Oktober an einem Schlaganfall. «Ihr Leben hatte in einem grossen Krieg – dem Zweiten Weltkrieg – begonnen. Und es endete im Schrecken eines weiteren grossen Kriegs», so Daryna Anastassiewa.

Auch während des Begräbnisses heulten die Sirenen.
Autor: Daryna Anastassiewa Einwohnerin von Kiew

Sie habe sich nicht von der Grossmutter verabschieden können: «Als sich ihr Zustand verschlechterte, herrschte in der Stadt Luftalarm, und ich konnte nicht ins Spital fahren. Und auch während des Begräbnisses heulten die Sirenen.»

Die Familie schaffte es, sich zu einem gemeinsamen Essen zu versammeln – in einem Restaurant ohne Heizung und elektrisches Licht und mit kalten Speisen. Aber immerhin waren sie alle zusammen.

Ein möglichst normales Leben in Kiew

Trotz der wiederholten Raketen- und Drohnenangriffe in Kiew versuchten die Menschen, ein einigermassen normales Leben zu führen, sagt Daryna Anastassiewa. Seit September gehen ihre Kinder wieder zur Schule. Das sei möglich, weil es in der Schule einen Luftschutzbunker gibt.

Es gibt dann kein Licht, keine Heizung, kein heisses Wasser, kein Internet.
Autor: Daryna Anastassiewa Einwohnerin von Kiew

Doch die andauernden russischen Angriffe auf die kritische Infrastruktur haben massive Auswirkungen im Alltag. Der Strom fällt stundenlang aus. «Dann gibt es in unserem Wohnblock nicht nur kein Licht, sondern auch keine Heizung, kein heisses Wasser, kein Internet.» Und auch das Mobilfunknetz breche wegen Überlastung zusammen.

Lifte bleiben stecken

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Legende: Daryna Anastassiewa. zvg

«Bei Stromausfall kann man stundenlang im Lift stecken bleiben», erzählt Daryna Anastassiewa. Mancherorts habe man darauf mit Kreativität reagiert: «Die Bewohner haben die Liftkabinen mit Notfallpaketen ausgestattet. Darin sind Windeln – für Kinder und Erwachsene – Wasser, eine Taschenlampe sowie unverderbliche Lebensmittel. So halten die Menschen die Stunden im Dunkeln besser aus.» Denn es komme vor, dass der Lift bis zu sechs Stunden lang stecken bleibe.

Um die Kinder bei Stromausfall zu beschäftigen, hat Daryna Anastassiewa mit ihnen Kerzen hergestellt. Das habe den Kindern grossen Spass gemacht, erzählt die junge Frau. Und auch die anderen analogen Tätigkeiten wie Schach spielen, musizieren, Bücher lesen hätten ihnen gefallen.

Kerze und zwei Frauenhände.
Legende: Zum Zeitvertreib während der Stromausfälle hat Daryna mit ihren Kindern Kerzen hergestellt. srf/Daryna Anastassiewa

Das alles erinnere sie auch an ihre Kindheit in der ostukrainischen Stadt Donezk: Die 1990er-Jahre seien schwierig gewesen, da habe es oft auch keine Heizung gegeben. Deshalb komme bei ihr schon fast so etwas wie Nostalgie auf, sagt Daryna Anastassiewa.

Raketentrümmer aufs Wohnquartier

Zum Gesamtbild gehört aber auch, dass in der Wohnung von Daryna Anastassiewa auch bei einem Stromausfall das Gas weiter fliesst. Sie kann damit kochen, Wasser aufheizen und Licht erzeugen. Das immerhin ist eine grosse Erleichterung.

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Archiv: So geht man in Kiew mit dem Strommangel um
Aus 10 vor 10 vom 11.11.2022.
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Doch schwer ist es, wenn es buchstäblich Raketen regnet, wie am 15. November. Damals schossen die Russen rund hundert Raketen auf Kiew. Zwar wurde der Grossteil davon von der ukrainischen Luftabwehr abgeschossen. Doch einige Trümmer seien auf das Quartier niedergegangen, in dem sie wohne, erzählt Daryna Anastassiewa. Ihre Kinder und Eltern hätten sich zu der Zeit dort aufgehalten. «Es ist das Schlimmste, wenn man sich in einem solchen Moment an einem anderen Ort aufhält als der Rest der Familie», sagt sie.

Alles andere an der Kriegssituation mache ihr schon nicht mehr viel aus. Was auch immer sich die Russen ausdenken würden: Die Ukrainer würden es aushalten. Und sie fügt an: «Wir sind frei. Und wir werden siegen.»

Echo der Zeit, 24.11.2022, 18:00 Uhr

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