Mit seinen 24 Jahren kennt Gleb Babitsch die Willkür der russischen Wahlbehörden bereits gut. Schon 2022 wollte der Biologiestudent und begeisterte Velofahrer als unabhängiger Kandidat an den Lokalwahlen in seinem Moskauer Wohnquartier teilnehmen.
«Solche Quartierabgeordnete haben kaum Einfluss, also sollten sie den Kreml nicht allzu sehr beschäftigen», sagt Babitsch. Trotzdem wollten die Behörden auch die Wahlen auf der niedrigsten Ebene kontrollieren.
«Auf meiner Webseite stand der Slogan ‹Wähle unabhängige Kandidaten!›», erzählt er von den Lokalwahlen 2022. «Offenbar hat irgendein anderer Kandidat vor Jahren diesen Slogan auch benutzt. Zwei Tage vor der Wahl wurde ich wegen Urheberrechtsverletzung von der Wahl ausgeschlossen. Ich stand aber schon auf den Wahlzetteln, die Wahlkommission musste auf jedem meinen Namen durchstreichen.»
Nun kandidiert Gleb Babitsch als Unabhängiger für das Moskauer Stadtparlament. «Will man als Parteiloser kandidieren, muss man mehr als 5000 Unterschriften sammeln», so Babitsch. «Wir haben das geschafft, weil wir ein starkes Team hatten. Aber es war nicht einfach. Teilweise holte ein Unterschriftensammler nicht mehr als eine Unterschrift pro Stunde.»
Ausser der Apathie hatte es der Unabhängige Gleb Babitsch aus einem weiteren Grund nicht leicht: Auf Stimmenfang im Quartier machte er keinen Hehl daraus, dass er gegen den Krieg ist. «Die Leute, die den Krieg aus Überzeugung befürworten, sagen mir schon, ‹Du Drecksack, du Ukrainer, hau ab, bevor ich die Polizei rufe›», sagt er.
«Aber andere sagen, sie wollten den Krieg schon stoppen, sie wüssten nur nicht, wie. Viele geben bloss an, dass sie dafür seien, weil alle anderen dafür sind.» Babitsch ist bewusst, dass er sich damit in Gefahr begibt. Er bekommt auch wieder anonyme Drohungen. «Grundsätzlich hätten sie mich schon lange festnehmen können, wenn sie wollten.»
Babitsch versucht aber, vorsichtig zu sein: Er verzichtet auf aufsehenerregende Protestaktionen, wählt seine Worte sorgfältig. Doch tatsächlich könnten den Behörden schon nur die Tatsache, dass er den Krieg einen Krieg nennt, als Vorwand dienen, ihn wegzusperren.
Trotz seiner Vorsicht tolerieren die russischen Behörden Kandidaten wie Gleb Babitsch nicht. Auch von den aktuellen Wahlen wurde er ausgeschlossen; unter seinen mühsam gesammelten Unterschriften fand die Wahlkommission genügend ungültige.
Ich bin nicht nur gegen den Krieg, sondern auch für die Demokratie.
War das die Gefahr, die Einschränkungen und den Aufwand wert? «Wir wussten, dass wir kaum eine Chance hatten», sagt Babitsch. «Trotzdem wollten wir den Leuten zeigen, dass es auch anders geht. Ich bin nicht nur gegen den Krieg, sondern auch für die Demokratie.»
Momentan seien Rechtsradikale in Russland im Aufwind. «Sie reiten auf einer Welle des Hasses gegen Ukrainer», sagt Babitsch. In einer Zeit nach Putin könnten sie an die Macht kommen. «Das muss verhindert werden. Ich denke, die russische Politik der Zukunft muss jetzt in den Quartieren anfangen. Sie beginnt vielleicht nicht mit mir, aber mit Leuten wie mich.»