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Lokal- und Regionalwahlen «Russlands Politik der Zukunft muss in den Quartieren anfangen»

Russlands Lokalwahlen finden ohne echte Opposition statt. Dennoch wagen unabhängige Kandidaten den Kampf gegen das Kreml-System. Einer von ihnen ist Gleb Babitsch.

Mit seinen 24 Jahren kennt Gleb Babitsch die Willkür der russischen Wahlbehörden bereits gut. Schon 2022 wollte der Biologiestudent und begeisterte Velofahrer als unabhängiger Kandidat an den Lokalwahlen in seinem Moskauer Wohnquartier teilnehmen. 

«Solche Quartierabgeordnete haben kaum Einfluss, also sollten sie den Kreml nicht allzu sehr beschäftigen», sagt Babitsch. Trotzdem wollten die Behörden auch die Wahlen auf der niedrigsten Ebene kontrollieren. 

So wurde Gleb Babitsch zum Aktivisten

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Babitsch wurde während der Fussball-Weltmeisterschaft in Russland 2018 zum Aktivisten. Neben dem Hauptgebäude der Lomonossow-Universität stellten die Behörden eine Fanzone auf. Der Lärm störte die Studierenden bei der Vorbereitung auf die Sommerprüfungen. Babitsch und andere wehrten sich, als Antwort wurde ihnen mit dem Ausschluss aus der Uni gedroht.

Doch davon liess sich Gleb Babitsch nicht beirren. In seinem Quartier engagiert er sich für die Anliegen seiner Nachbarn, etwa dafür, dass es ein Frauenspital in der Nähe gibt. In diesem Jahr wollte er als Unabhängiger ins Moskauer Stadtparlament.

«Auf meiner Webseite stand der Slogan ‹Wähle unabhängige Kandidaten!›», erzählt er von den Lokalwahlen 2022. «Offenbar hat irgendein anderer Kandidat vor Jahren diesen Slogan auch benutzt. Zwei Tage vor der Wahl wurde ich wegen Urheberrechtsverletzung von der Wahl ausgeschlossen. Ich stand aber schon auf den Wahlzetteln, die Wahlkommission musste auf jedem meinen Namen durchstreichen.»

Nun kandidiert Gleb Babitsch als Unabhängiger für das Moskauer Stadtparlament. «Will man als Parteiloser kandidieren, muss man mehr als 5000 Unterschriften sammeln», so Babitsch. «Wir haben das geschafft, weil wir ein starkes Team hatten. Aber es war nicht einfach. Teilweise holte ein Unterschriftensammler nicht mehr als eine Unterschrift pro Stunde.»

Entfremdung von der Politik

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Zweieinhalb Jahre nach Beginn des Grossangriffs auf die Ukraine sind die Menschen in Russland von der Politik so entfremdet wie noch nie. In einigen Moskauer Hauseingängen hängen Plakate, die Gutscheine und andere Preise versprechen, wenn man online abstimmt. Vergangene Wahlen haben gezeigt, dass sich elektronisch abgegebene Stimmen einfacher fälschen lassen.

Der Wahlkampf der Systemparteien ist kaum zu bemerken. Die Putin-Partei «Einiges Russland» reagierte nicht auf die Anfragen von Radio SRF, auch andere waren nicht erreichbar oder sagten Medienanlässe kurzfristig ab.

Ausser der Apathie hatte es der Unabhängige Gleb Babitsch aus einem weiteren Grund nicht leicht: Auf Stimmenfang im Quartier machte er keinen Hehl daraus, dass er gegen den Krieg ist. «Die Leute, die den Krieg aus Überzeugung befürworten, sagen mir schon, ‹Du Drecksack, du Ukrainer, hau ab, bevor ich die Polizei rufe›», sagt er.

«Aber andere sagen, sie wollten den Krieg schon stoppen, sie wüssten nur nicht, wie. Viele geben bloss an, dass sie dafür seien, weil alle anderen dafür sind.» Babitsch ist bewusst, dass er sich damit in Gefahr begibt. Er bekommt auch wieder anonyme Drohungen. «Grundsätzlich hätten sie mich schon lange festnehmen können, wenn sie wollten.»

Mann mit Fahrrad im Park.
Legende: «Natürlich habe ich Angst um mich und meine Verwandten», sagt Babitsch. Trotzdem bleibt er hoffnungsvoll und will weiter politisieren. SRF

Babitsch versucht aber, vorsichtig zu sein: Er verzichtet auf aufsehenerregende Protestaktionen, wählt seine Worte sorgfältig. Doch tatsächlich könnten den Behörden schon nur die Tatsache, dass er den Krieg einen Krieg nennt, als Vorwand dienen, ihn wegzusperren.

Trotz seiner Vorsicht tolerieren die russischen Behörden Kandidaten wie Gleb Babitsch nicht. Auch von den aktuellen Wahlen wurde er ausgeschlossen; unter seinen mühsam gesammelten Unterschriften fand die Wahlkommission genügend ungültige.

Ich bin nicht nur gegen den Krieg, sondern auch für die Demokratie.
Autor: Gleb Babitsch Politiker (parteilos)

War das die Gefahr, die Einschränkungen und den Aufwand wert? «Wir wussten, dass wir kaum eine Chance hatten», sagt Babitsch. «Trotzdem wollten wir den Leuten zeigen, dass es auch anders geht. Ich bin nicht nur gegen den Krieg, sondern auch für die Demokratie.»

Momentan seien Rechtsradikale in Russland im Aufwind. «Sie reiten auf einer Welle des Hasses gegen Ukrainer», sagt Babitsch. In einer Zeit nach Putin könnten sie an die Macht kommen. «Das muss verhindert werden. Ich denke, die russische Politik der Zukunft muss jetzt in den Quartieren anfangen. Sie beginnt vielleicht nicht mit mir, aber mit Leuten wie mich.»

Krieg in der Ukraine

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Echo der Zeit, 07.09.2024, 18 Uhr

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